Allsätze und Ansätze
Mit steigendem Einkommen sinkt der Anteil dieser für konsumtive Zwecke.
genannt. Kann ich hingegen die Aussage
Es gibt mindestens einen Haushalt, bei dem nach einem Einkommensanstieg auch der Konsumanteil der Einnahmen gestiegen ist.
bestätigen, ist der Allsatz falsifiziert. Verifiziert können Allsätze wie dieser nicht, da sich nie die Gesamtmenge überprüfen lässt.
Ein Bündel von Allsätzen, nicht widerlegter Hypothesen, stellt eine Theorie dar. Die Hypothesen sind untereinander widerspruchsfrei. Die Theorie hilft bei der Erklärung bestimmter Sachverhalte oder Phänomene. Einzelne Allsätze, die einen Zustand exakt vorhersagen und in aller Regel einen kausalen Zusammenhang beschreiben bezeichnet man als Gesetz. Ein Naturgesetz ist demzufolge ein Allsatz aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Die Zusammenfassung mehrerer Naturgesetze stellt somit auch wieder eine Theorie dar. Dies verwundert, weil Naturgesetze im allgemeinen Sprachempfinden im Gegensatz zu Naturgesetzen etwas Unantastbares haben. Sie sind aber ebenso durch das Auge des Betrachters und den Wissenschaftsstand geprägt und daher nicht gesichert.
Im Bereich der Mikroökonomie gibt es zwei sich widersprechende Ansätze wie im Falle von Wirtschaftskrisen zu verfahren ist. Nach Keynes sollte der Staat die öffentliche Nachfrage steigern, damit ein dauerhafter Einbruch vermieden und das bestehende Niveau gehalten werden kann. Der Ansatz von Hayek setzt darauf, dass sich der Staat komplett heraushält: Die Rezession ist die Folge eines überhöhten Wachstums, die zu einer notwendigen Bereinigung des Marktes führt und die ineffizientesten Marktteilnehmer eliminiert. Beide Ansätze sind nach heutigen Erkenntnissen unvollständig. Beim keynesanischen Ansatz wird nur der kurzfristige Verlauf betrachtet. Das generelle Problem würde langfristig nicht behoben, stattdessen müsste der Staat seine Ausgaben dauerhaft erhöht halten. Ansonsten bliebe es beim sogenannten Strohfeuer, d. h. nur einem kurzen Anstieg der Wirtschaftsleistung. Die Langfristigkeit ist bei Hayek berücksichtigt. Wie die Weltwirtschaftskrise, u. a. auch in Deutschland, im letzten Jahrhundert gezeigt hat, kann aber auch sein Ansatz nicht vollständig sein. Erst durch die Erweiterung der Theorie, dass nicht nur harte Faktoren wie Zinssätze und öffentliche Ausgaben Einfluss auf das Investitionsniveau haben, sondern auch weiche wie die Erwartungshaltung an die Zukunft und das Agieren der Marktteilnehmer, konnte erklärt werden, warum seine Theorie in der Praxis untauglich war. Das kurzfristige Eingreifen des Staates bei Keynes verändert hingegen schon implizit die Erwartungshaltung. Die Betrachtung des Ablaufs im längeren Zeitablauf erweitert seine Theorie. Die Kombination beider stellt daher nach heutigen Erkenntnissen die bestmögliche politische Handlungsalternative dar (vgl. Biggs/Mayer/Vared 2009).
Beide Theorien vereint, dass sie auch für sich stehend schon logisch konsistent waren und formal, verbal und grafisch präzisiert werden konnten. Die Theorieerweiterungen sorgten zudem für eine Integration der vorher bestehenden. Empirisch widerlegt wurden die einzelnen bereits, wobei hierbei schwer zu definieren ist, ab wann dies eintritt, weil man nie genau weiß, welche Folgen sich bei anderem Handeln ergeben hätten. Für die Theorie von Keynes kann man aber z. B. die bei der Auflegung von Programmen seiner Art beobachtete stark ansteigende Verschuldung öffentlicher Haushalte anführen. Bei der kombinierten können empirische Untersuchungen über die wirtschaftliche Entwicklung im Zeitablauf in den nächsten zehn, zwanzig Jahren über den Vergleich verschiedener Länder mit unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Handlungsprogramme Klarheit verschaffen. Ein heuristischer Wert ist demnach gegeben, ebenso die praktisch-technologische Relevanz. Schließlich wurden die Theorien bereits umgesetzt. Da, so scheint es zumindest, das gefürchtete Armageddon des globalen Wirtschaftssystems ausgelöst durch die jüngste Finanzkrise auszubleiben scheint, hat sich für die Gesamtgesellschaft die Situation zumindest im Vergleich zu früheren vergleichbaren Krisen verbessert.
Biggs, Michael / Mayer, Thomas / Yared, Francis (2009): „Austro-Keynesianism”, Frankfurt (Deutsche Bank Global Markets Research).