Milch macht müde Männer munter
Rein ökonomisch ist die Forderung der Bauern und vor allem deren Begründung unsinnig. Der Preis bildet sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot nun so hoch ist, das der Marktpreis unter dem kostendeckenden einiger Erzeuger liegt, kommt es zwangsläufig zur Marktbereinigung. Die unrentabelsten Höfe schließen.
Warum sollten in der Landwirtschaft andere Regeln gelten als in der Industrie (Bsp. Opel) oder im Dienstleistungsbereich (Bsp. Arcandor)? Das Argument der Pflege der Kulturlandschaft ist nicht wirklich tragfähig. Wenngleich Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft sich an grasenden Kühen erfreuen, ist es ihnen wohl kaum den Betrag wert, der mit einer Quotierung oder Subventierung einherginge. Der EU-Ansatz nach landwirtschaftlicher Fläche statt nach Produktionsmenge zu fördern, kommt diesem zudem näher. Der Anreiz zur Massentierhaltung wird unterbunden.
Die Landwirtschaft unterscheidet sich von den übrigen Wirtschaftssektoren allerdings dadurch, dass das Überangebot langfristig betrachtet deutlich höher ist . Will man nicht eine plötzliche Verödung der agrarisch geprägten Räume in Kauf nehmen, kommt man um eine weitere Unterstützung kaum herum. Bedeutsam ist aber auch, dass die Nachfrage nach Milch und anderen Agrarerzeugnissen relativ unelastisch ist. D. h. dass ein gewisser Grundbedarf unabhängig vom Preis immer vorhanden ist, während bei sinkenden Preisen nur wenig mehr konsumiert wird. Genauso unelastisch ist kurzfristig das Angebot. Ein Landwirt kann seine Kühe melken oder auch nicht, er kann sie aber nicht für andere Zwecke benutzen. D. h. auch wenn die Preise fallen, bleibt das Angebot zunächst konstant. Mittelfristig ergibt sich ein anderes Bild: Weil die Milchpreise so niedrig sind, werden weniger neue Kühe angeschafft, es wird weniger Milch produziert, der Preis steigt. Wenn nun viele Bauern so handeln, sinken die Produktionsmengen stärker als notwendig und es kommt in der Folge wieder zu einer verstärkten Investition in Milchkühe. Erreicht man hierdurch letztendlich den langfristigen Gleichgewichtspreis, hat der freie Markt funktioniert. Kommt es hingegen immer wieder zu einer Überreaktion entsteht der sog. Schweinezyklus.
Den Landwirten einen Minimalpreis zuzusichern, kann daher ein Mittel sein, um starke Preisschwankungen abzufedern. Diese träfen vor allem die Bevölkerungsteile mit den niedrigsten Einkommen, da diese einen Großteil ihrer Einnahmen für Grundnahrungsmittel ausgeben. Sinnvoller wäre es allerdings den Betroffenen direkt zu helfen als dies über Umwege zu tun. Bei sehr hohen Nahrungsmittelpreisen müssten dann diese entsprechend unterstützt werden.
Doch wie sieht es mit der Sicherung des Nahrungsmittelbestandes aus? Milch- und Getreidepreise schwanken, aber nicht nur weil die Erzeuger den Markt falsch eingeschätzt haben, sondern vor allem auch wegen der nicht prognostizierbaren klimatischen Bedingungen. Kalte, heiße, regnerische Sommer haben alle unterschiedliche Einflüsse auf den landwirtschaftlichen Ertrag. Eine Unterstützung der Bauern, um ein permanentes Überangebot zu erzielen, kann durch die Produktion einer Sicherheitsmenge zur - im Extremfall - Vermeidung von Hungersnöten beitragen. Da klimatische Erscheinungen in aller Regel an Landesgrenzen nicht Halt machen, wäre ein ausgleichender Import wenig wahrscheinlich.
Es gibt also durchaus Gründe, die eine differenzierte Betrachtungsweise der einzelnen Wirtschaftssektoren erfordern. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Überproduktion in der Landwirtschaft in den Industriestaaten (Europa, Nord- und Südamerika) so massiv ist, dass eine dermaßen hohe Unterstützung nicht gerechtfertigt sein kann und ein sanfter Ausstieg notwendig ist. Interessant wäre zu wissen, wie stark der Milchabsatz in den letzten Jahren geschwankt ist. Zwischenzeitlich kostete der Liter den Konsumenten fast doppelt so viel wie heute. Falls dieser nur gering ausfiel, wovon bei der unelastischen Nachfrage auszugehen ist, stellt sich doch vielmehr die Frage: Warum schaffen die Molkereien es nicht gegenüber dem Einzelhandel in ihren Preisverhandlungen bessere Ergebnisse für sich und die Milchbauern zu erzielen?