Ökonomie

Sonntag, 23. August 2009

Weiße Listen für "Halbgötter in Weiß"

Die Bertelsmann Stiftung betreibt einen Internetauftritt, der die Vergleichbarkeit und Qualität von Dienstleistern im Gesundheitswesen ermöglichen soll: die Weisse Liste. Bis jetzt beschränkt sich das Angebot noch auf den Vergleich von Kliniken bzw. deren angebotenen Behandlungen im stationären Bereich. Es soll aber stetig ausgebaut werden. Doch können medizinische Leistungen überhaupt verglichen werden?

Grundsätzlich stellt sich gerade bei umfangreicheren Maßnahmen das Problem, dass man sich bevor der einzutretende Effekt eintritt für eine Vorgehensweise entscheiden muss. Man weiß auf individueller Ebene daher nie, wie das Ergebnis bei einer Alternative, z. B. einem anderen durchführenden Arzt, ausgesehen hätte. Dies Problem lässt sich relativ einfach durch die Aggregation vieler ähnlicher Fälle, bei denen alternative Lösungsansätze angewandt wurden, beheben. Die Variante, die besser abschneidet, sei es durch kürzere Rekonvaleszenszeiten, niedrigere Mortalitätsraten oder geringere Nebenwirkungen, ist im allgemeinen dann vorzuziehen. Es käme somit zu einem standardisierten Verfahren. Dies würde immer dann angewandt, wenn auch die Ausgangssituation, das Krankheitsbild, dem Standard entspricht.

Für gewöhnlich weiß der Leistungsnehmer, der Patient, nicht, welches Verfahren das am geeignetste ist und welcher Anbieter dies am besten anwendet. Fürs erste kann ihm sein Hausarzt oder ein anderer sog. Sachverwalter wie z. B. ein Informationsdienst der Versicherung behilfreich sein. Beim zweiten gilt prinzipiell dasselbe. Gerade die Versicherung, der Kostenträger, sollte ein Interesse daran haben, dass die Leistungen von einer kompetenten Stelle durchgeführt werden. So werden umfangreiche Folgekosten am ehesten vermieden. Generell wird aber hier wie bei jeder anderen Sachverwalterbeziehung ein Vertrauensverhältnis vorausgesetzt. Da es um Leib und Leben geht, muss sich der Leistungsnehmer sicher sein, dass der Sachverwalter selbst einen äußerst versierten Einblick besitzt und andere Interessen wie z. B. finanzielle außer Acht lässt.

Inwieweit kann die Weisse Liste dem Verbraucher nun helfen im sich im Dschungel des Gesundheitsmarktes zurecht zu finden? Da sie selbst Teil einer Stiftung ist, sollte ihr ein eigennütziges Handeln, zumindest in Bezug auf die Besserstellung einzelner Anbieter, abgesprochen werden können. Sie erfüllt daher das Kriterium des unabhängigen Sachverwalters. Doch erfüllt sie auch die notwendige Kompetenz? Die Weisse Liste ermöglicht es dem Anwender sich die Krankenhäuser gefiltert nach einer Untersuchung oder einem Eingriff darstellen zu lassen. Neben der Anzahl der Fachärzte und dem Pflegepersonal, sowie den durchgeführten Behandlungen kann man sich außerdem angebotene Komfortleistungen (Fernseher am Bett, Einzelzimmer usw.) darstellen lassen. Man kann sich seinen persönlichen Schlüssel zusammen basteln und so entscheiden, wo man sich behandeln lassen möchte. Der Vorteil ist, dass die Entscheidung auf den eigenen Präferenzen beruht und nicht die eines anderen widerspiegelt.

So weit, so gut. Dies hilft sicherlich bei standardisierten Eingriffen, die sehr häufig durchgeführt werden. Man vermeidet damit, sich in ein Krankenhaus einweisen zu lassen, die das geforderte Behandlungsspektrum nur am Rande ausführt, gleichzeitig ein paar Kilometer weiter aber eine hochspezialisierte Klinik vorhanden ist. Aber ist mehr auch grundsätzlich besser? Es gibt Schwellenwerte, die überschritten werden müssen, um einen Erfahrungs- und Routinierungsgrad aufbauen zu können. Alles was jeweils darüber liegt, führt in der Regel nur dazu, dass mehr Mediziner sich mit den gleichen Themen beschäftigen, es also zu einer Arbeitsteilung kommt. Kliniken sind nicht grundsätzlich dafür bekannt, dass sie Vorreiter im Prozessmanagement, sowohl den harten als auch insbesondere den weichen Faktoren, sind. Inwieweit hier noch ein Vorteil für den Patienten erzielt werden kann, liegt an der Organisation, der Führung und dem gegenseitigen Austausch der einzelnen Teams. Hier liegt eine Schwachstelle der Weissen Liste. Sie stellt nur dar, wie viele Behandlungen durchgeführt werden, den sog. output, nicht aber die Qualität, den sog. outcome.

Zusätzlich muss die Aufbereitung der Daten in der Weissen Leiste als zu einfach bewertet werden. Berücksichtigt werden grundsätzlich nur Ergebnisse der Vergangenheit. Eine plötzlich eintretende hohe Fluktuation, die zum Wegfall wertvoller Erfahrungen, intangiblen Wissens, führt, kann z. B. nicht dargestellt werden. Gleiches gilt für den Aufbau neuer Teilbereiche. Durch die Zusammenführung etablierter Kräfte anderer Häuser kann ein beträchtliches Innovationspotential entstehen, dass dem Patienten zu Gute kommt. Außerdem gilt auch hier der Vertrauensfaktor. Was nützt die beste Operation, wenn der Patient sich nicht ernst genommen fühlt oder glaubt, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Die Ausprägung der Dienstleistungsmentalität oder einem Handeln, dass einem partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnis entspricht, ist nur schwer zu messen.

Ist eine Darstellung erfolgreich durchgeführter Behandlungen im Sinne der Weissen Liste überhaupt gesellschaftlich wünschenswert? Gerade die zu einfache Darstellung birgt neben den dargestellten Vor- und Nachteilen auf Nachfragerseite Gefahren. Sie provoziert auf Anbeiterseite ein Verhalten, eine möglichst hohe Erfolgsquote zu erzielen. Dies kann aber leicht dazu führen, dass Patientengruppen mit erhöhtem Risikofaktor bestimmte Behandlungsformen gar nicht mehr angeboten bekommen. Die Möglichkeit, dass diese die durchschnittliche Erfolgsrate senken, wäre zu groß. Die Schwachstelle der Weissen Liste, die fehlende Darstellung der Qualität für den einzelnen Marktteilnehmer, ist gesellschaftlich betrachtet daher ein Vorteil. Der Bertelsmann Stiftung sei daher die Empfehlung gegeben, bei einer Erweiterung ihres Angebotes gewissenhaft zwischen kurz- und langfristigen Vor- und Nachteilen, sowie impliziten gesellschaftlichen Auswirkungen abuzwägen.

Montag, 13. Juli 2009

Thomas Gottschalk und die Piratensender

In den 80er Jahren wurde ein, wie ich finde, hervorragender Film mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger gedreht: Piratensender Powerplay. Die beiden betreiben einen illegalen Radiosender, weil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kein der Allgemeinheit zugängliches Programm läuft. Heute arbeitet Thomas Gottschalk beim ZDF und moderiert die immer noch mit am beliebteste Fernsehsendung "Wetten, dass...?". So schlecht kann das Angebot des öffentlichen-Rundfunks also gar nicht sein. Ist es aber gerechtfertigt hierfür und für die anderen Sendungen Gebühren zu verlangen und dazu noch in dieser Höhe?

Generell sollte der Staat nur dort in den Markt eingreifen, wo dieser nicht selbständig funktioniert. Dies beinhaltet auch das Auftreten als Akteur wie es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen der Fall ist. Historisch betrachtet war dieser zunächst der einzige Anbieter. Ein Werbemarkt existierte noch nicht und hätte aufgrund der zu geringen Verbreitung des Mediums Fernsehens vermutlich auch nie entstehen können. Dass der Staat hier den Anstoß gibt bis sich ein eigenständiger Markt entwickeln kann, es zu sog. positiven Netzwerkexternalitäten gekommen ist, erscheint daher legitim. Doch ist ein Eingreifen des Staates auch heute noch gerechtfertigt?

Schaut man sich das Fernsehprogramm an, so wird man feststellen, dass sowohl bei den privaten als auch bei den öffentlich-rechtlichen Programmen viel leichte Kost, man könnte auch sagen Schrott, angeboten wird. Bestimmte Formate findet man aber fast ausschließlich auf ARD, ZDF & Co. Hierzu gehören neben kulturell anspruchsvolleren Beiträgen wie sie auf arte gezeigt werden auch politische Sendungen wie auf Phoenix und ein pädagogisch wertvolleres Kinderprogramm auf Ki.Ka als bei den Privaten. Diesen drei Kategorien ist eins gemeinsam, es existiert kein oder nur ein sehr eingeschränkter Werbemarkt. Wer sich Sendungen auf arte oder Phoenix ansieht hat im Allgemeinen eine geringere Konsumneigung. Werbeausgaben würden sich nicht rentieren. Bei Kindersendungen sind die gesetzlichen Vorgaben recht rigide, zudem werden die qualitativen Sendungen eher mit den Eltern gesehen. Diese schalten anzunehmenderweise rechtzeitig vor der Werbung ab, so dass diese gar nicht ihre Empfänger erreicht. Für diese Art von Sendungen Gebühren zu erheben ist noch relativ eingängig. Doch wie steht es mit Unterhaltungsprogrammen wie dem Musikantenstadl oder ähnlichem?

Die Generation der über 50-jährigen gilt in Werbekreisen nicht mehr als ansprechbar. Hauptzielgruppe sind die 14- bis 49-jährigen. Folglich existiert auch hier kein Angebot einschlägiger Sendungen im Privatfernsehen. Der Staat muss also als Marktkorrektor eingreifen. Und warum versagt der Markt bei Unterhaltungssendungen à la "Wetten, dass...?" oder der Fußball-Wetlmeisterschaft?

Das ist gerade nicht der Fall, dennoch werden die teuersten Programminhalte von ARD und ZDF gesendet. Mit einem Marktversagen ist dies nicht zu erklären. Da nun aber jeder, der ein Fernsehgerät besitzt, verpflichtet ist, GEZ-Gebühren zu zahlen, ist der Gebührenempfänger gewissermaßen moralisch verpflichtet, auch allen ein Angebot anzubieten, an dem sie partizipieren wollen, und nicht nur denen, die der Markt nicht bedient. Es handelt sich hierbei um Ansätze des Äquivalenzprinzips, das besagt, dass jeder das rausbekommt, was er auch einbezahlt. Würde man auf diese Komponente verzichten, käme es zu einer weitaus stärkeren Gebührenevasion, d. h. dem Nichtanmelden von Empfangsgeräten, als es heute schon der Fall ist. Es ist mehr Mittel zum Zweck, das Marktversagen überhaupt beheben zu können.

Natürlich kann man einwenden, das öffentlich-rechtliche Fernsehen ließe sich aus Steuergeldern finanzieren. Schließlich profitieren langfristig alle z. B. von einem Qualitätsprogramm für Kinder, weil es deren Entwicklung zumindest mehr fördert als andere Unterhaltungssendungen. Der Gesellschaft entstünde ein positiver Nutzen. Es bestünde aber stärker die Gefahr einer übertriebenen Geldausgabe, weil die direkte Kontrollinstanz der einzelnen Bürger ausfiele. Eine Budgeterhöhung würde bei weitem nicht so ein großes Medienecho auslösen wie eine Gebührenerhöhung.

Sonntag, 5. Juli 2009

Reinigende Milchbäder

Sind die Absatzpreise für Milch und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse aus ökonomischen Gesichtspunkten zu niedrig? Besteht ein Marktversagen und handelt es sich wirklich nicht um "faire Preise" wie von den Bauern moniert? Grundlegend für einen funktionierenden Markt ist, dass die Preisbildung aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entsteht. Wird mehr Milch angeboten, die Nachfrage aber konstant bleibt, sinkt der Preis, wird weniger angeboten, steigt dieser. Dies folgt aus der schlichten Tatsache, dass mir dem Verbraucher der zusätzliche Liter Milch, den ich noch kaufe, weniger wert ist als der bereits vorherige. Damit kein Überschuss entsteht - der Markt geräumt wird - wird nun jeder Liter Milch zu diesem markträumenden Preis verkauft.

Wird Milch tatsächlich zu einem zu niedrigen Preis angeboten, bestünde ein Nachfrageüberschuss. Praktisch hieße das, man bekäme ab 16 Uhr oder auch am Wochenende, jedenfalls in der Zeit bevor neue Ware geliefert wird, nichts mehr zu kaufen. Dies ist in Deutschland wie eigene Recherchen ergeben haben, definitiv nicht der Fall. Die Preisbildung scheint also für eine Markträumung zu sorgen. Insofern besteht kein Marktversagen.

Ein Blick auf die Entwicklung der Produktions- und Absatzzahlen, sowie der Preise wirft allerdings einige Fragen auf. Ein Zusammenhang zwischen den Preisen und der Produktionsmenge einerseits, sowie dem Gesamtverbrauch andererseits lässt für die letzten 15 Jahre keinen Zusammenhang erkennen. So stiegen 2001 und 2007 die Preise für Milcherzeugnisse um ca. fünf Prozent. 2001 wurde dennoch zwei Prozent mehr nachgefragt und 2007 schrumpfte der Absatz nur um ein Prozent. Die geringen Schwankungen der Nachfrage sprechen dafür, dass diese relativ preisunempfindlich ist. Es ist für den Verbraucher schlichtweg nicht entscheidend, ob der Liter Milch 48 oder 73 Cent kauft. Er kauft immer annähernd dieselbe Menge. Dies ist allerdings kein Marktversagen, sondern eine sog. preisunelastische Nachfrage. Die Frage hierbei ist jetzt nur, wer davon profitiert. Normalerweise wäre dies weder die eine noch die andere Seite. In einem Markt mit vollkommener Konkurrenz träten solange neue Anbieter in den Markt ein wie diese einen Ertrag erwirtschaften, der ihre Kosten deckt. Da die Absatzmenge in diesem Fall annähernd fest ist, würden die Produzenten mit den höchsten Kosten folglich den Markt verlassen müssen. Ihre Kosten lägen über dem neuen Marktpreis, der durch die neuen effizienteren Wettbewerber nach unten gedrückt wurde.

Diese Marktbereinigung ist bisher durch die Zahlung von Subventionen im weitaus geringerem Maße durchgeführt worden wie sie aus ökonomischen Gesichtspunkten hätte stattfinden müssen. Die Preisreduktion führt also dazu, dass von den bestehenden Milchbetrieben nur noch die mit der günstigsten Kostenstruktur überleben. Ein völlig normaler, wenn auch für viele deutlicher und schmerzhafter Prozess.

Sonntag, 28. Juni 2009

Steuern steuern

Die Umsatzsteuer ist eine sozial ungerechte Steuer, weil sie Geringverdiener überproportional belastet. Ein häufig vorgebrachtes Argument. Und sicher, wenn das Steuersystem ansonsten unverändert bleibt, ist diese Aussage auch richtig. Unabhängig von der Höhe des Einkommens wird ein gewisser Grundbetrag immer für den Konsum ausgegeben. Der Konsumanteil und damit auch der durch eine Umsatzsteuer belastete Ausgabenpart fällt daher bei steigendem Einkommen. Geringverdiener müssen sich also bei einer Umsatzsteuererhöhung stärker einschränken, während bei den hohen Einkommensbeziehern die Belastung ggf. nur unmerklich ausfällt.

Eine Steuererhöhung, die nur dazu dient, dem Staat mehr Einnahmen zu bescheren, ist aber per se als ungerecht oder schlichtweg überflüssig zu bezeichnen. In diesem Fall wäre jedwede Form einer Steuererhöhung, sei es die Umsatzsteuer, die Einkommensteuer oder auch die Mineralölsteuer, abzulehnen. Anders verhält es sich, wenn der Staat die Steuereinnahmen nutzt, um hiermit Ausgaben zu tätigen, die die private Wirtschaft nicht oder nur unzureichend leisten kann. Der Staat erzielt in diesem Fall für die Gesellschaft einen höheren Benefit als der freie Markt. Ob die Bundesrepublik nun mehr zu ersterem tendiert oder zu letzterem, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Unabhängig davon, ob nun wirklich mehr Finanzeinnahmen notwendig sind oder nicht, ergibt sich immer die Frage der Ausgestaltung des Steuersystems in seiner gesamten Komplexität. Das eingangs erwähnte Argument lässt sich allein schon dadurch entkräften, dass die skandinavischen Länder allesamt einen vergleichsweise hohen Umsatzsteuersatz haben, dennoch aber als Staaten mit einem gut ausgebauten Sozialsystem gelten. Bei den USA oder auch Singapur mit seiner hohen Einkommenskonzentration verhält es sich gerade umgekehrt. Bedeutend ist daher immer auch wie das Einkommensteuersystem gestaltet ist. Bei sehr hohen Freibeträgen fiele ein hoher Umsatzsteuersatz weniger ins Gewicht, weil die finanziellen Mittel für der Grunderwerb nicht besteuert werden. Einsichtig ist auch, dass eine starke Progression mit hohen Grenzsteuersätzen einkommensangleicher wirkt als nur ein niedriger Umsatzsteuersatz. Nicht vergessen werden darf hierbei, dass auch die Konstruktion der Sozialversicherungssysteme Auswirkungen hat. Das Bismarcksche System wie es in den kontinentaleuropäischen Staaten vorherrschend ist sorgt z. B. in der BRD de facto für Eingangsteuersätze von ca. 40% (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil von Renten-, Krankenversicherung usw.). Sozialpolitisch wirksam und auch ökonomisch effektiv, weil arbeitsanreizerhöhend, wäre es dies auf ein steuerbasiertes System umzustellen.

Eine Reduzierung der Einkommensteuer wirkt positiv auf die Bereitschaft Arbeit aufzunehmen, weil netto mehr vom Brutto bleibt. Ein so großer Effekt, dass die Steuereinnahmen zumindest aber gleich bleiben - weil jetzt mehr Leute Steuern zahlen als vorher, wenn auch der Einzelne weniger als zuvor - ist allerdings nicht anzunehmen. Notwendig ist also eine Gegenfinanzierung. Hierfür bietet sich die Umsatzsteuer und gerade die ermäßigte an. Produkte, die zum Grundbedarf gehören, werden unabhängig von Preisveränderungen recht gleichmäßig nachgefragt. Es kann zu keiner Ausweichreaktion des Bürgers kommen. Bei der Einkommensteuer ist durch die Substition von Arbeit zu Freizeit der Fall. Gerade die Produkte des täglichen Bedarfs, die aus sozialpolitischen Gründen niedriger besteuert werden, für die Einnahmensicherung des Staates heranzuziehen, mag etwas befremdlich klingen. Letztendlich werden mit dem ermäßigten Steuersatz aber auch hohe Einkommensbezieher subventioniert und der Grund hiermit, die heimische Landwirtschaft zu unterstützen, trifft auch nicht zu. Die Produkte weisen sich gerade durch eine konstante Nachfrage aus. Letztendlich erzielt der Staat somit sein Finanzziel mit einem Minimum an wirtschaftspolitischer Verzerrung des Marktes. Die Austarierung der Steuersätze muss dann nur dafür sorgen, dass genügend Mittel für Transferleistungen vorhanden bleiben, um die sozialpolitischen Ziele zu verwirklichen.

Doch gibt es auch Gründe für gespaltene oder niedrige Umsatzsteuersätze? Frankreich hat einen erniedrigten Steuersatz im Gastronomie- und Hotelbereich. Die USA zeichnet sich durch einen viel höheren Anteil an Arbeitnehmern aus, die einfache Serviceleistungen verrichten. Das liegt nicht an der höheren Dienstleistungsbereitschaft, sondern auch daran, dass in peronalintensiven Wirtschaftsbereichen die Umsatzsteuer quasi wie eine Einkommensteuer wirkt. Sie senkt also die Bereitschaft solche Arbeit aufzunehmen bzw. diese nachzufragen, weil sie durch die zusätzliche Steuer unverhältnismäßig teuer wird. Ein reduzierter Umsatzsteuersatz auf Dienstleistungen ist daher wirtschaftspolitisch zu unterstützen. Es stellt sich nur die Frage der Abgrenzung. Steueroptimierendes Verhalten der Akteure und damit ein Wohlfahrtsverlust ist wahrscheinlich zu erwarten.

Sonntag, 21. Juni 2009

Milch macht müde Männer munter

Deutsche Bauern demonstrieren vor dem europäischen Parlament zur Erhaltung der Milchquote. Der jetzige Preis sei aufgrund des zu hohen Angebots schon zu niedrig, um die landwirtschaftlichen Betriebe aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig ist den meisten aber auch bewusst, dass ein Hoffen auf die Aufrechterhaltung unbegründet ist. Hierzu müsste entweder die Europäische Kommission eine Initiative aufgeben oder der Ministerrat müsste einstimmig für die Beibehaltung votieren. Denn der Ausstieg aus der Quotierung ist längst beschlossene Sache.

Rein ökonomisch ist die Forderung der Bauern und vor allem deren Begründung unsinnig. Der Preis bildet sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot nun so hoch ist, das der Marktpreis unter dem kostendeckenden einiger Erzeuger liegt, kommt es zwangsläufig zur Marktbereinigung. Die unrentabelsten Höfe schließen.

Warum sollten in der Landwirtschaft andere Regeln gelten als in der Industrie (Bsp. Opel) oder im Dienstleistungsbereich (Bsp. Arcandor)? Das Argument der Pflege der Kulturlandschaft ist nicht wirklich tragfähig. Wenngleich Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft sich an grasenden Kühen erfreuen, ist es ihnen wohl kaum den Betrag wert, der mit einer Quotierung oder Subventierung einherginge. Der EU-Ansatz nach landwirtschaftlicher Fläche statt nach Produktionsmenge zu fördern, kommt diesem zudem näher. Der Anreiz zur Massentierhaltung wird unterbunden.

Die Landwirtschaft unterscheidet sich von den übrigen Wirtschaftssektoren allerdings dadurch, dass das Überangebot langfristig betrachtet deutlich höher ist . Will man nicht eine plötzliche Verödung der agrarisch geprägten Räume in Kauf nehmen, kommt man um eine weitere Unterstützung kaum herum. Bedeutsam ist aber auch, dass die Nachfrage nach Milch und anderen Agrarerzeugnissen relativ unelastisch ist. D. h. dass ein gewisser Grundbedarf unabhängig vom Preis immer vorhanden ist, während bei sinkenden Preisen nur wenig mehr konsumiert wird. Genauso unelastisch ist kurzfristig das Angebot. Ein Landwirt kann seine Kühe melken oder auch nicht, er kann sie aber nicht für andere Zwecke benutzen. D. h. auch wenn die Preise fallen, bleibt das Angebot zunächst konstant. Mittelfristig ergibt sich ein anderes Bild: Weil die Milchpreise so niedrig sind, werden weniger neue Kühe angeschafft, es wird weniger Milch produziert, der Preis steigt. Wenn nun viele Bauern so handeln, sinken die Produktionsmengen stärker als notwendig und es kommt in der Folge wieder zu einer verstärkten Investition in Milchkühe. Erreicht man hierdurch letztendlich den langfristigen Gleichgewichtspreis, hat der freie Markt funktioniert. Kommt es hingegen immer wieder zu einer Überreaktion entsteht der sog. Schweinezyklus.

Den Landwirten einen Minimalpreis zuzusichern, kann daher ein Mittel sein, um starke Preisschwankungen abzufedern. Diese träfen vor allem die Bevölkerungsteile mit den niedrigsten Einkommen, da diese einen Großteil ihrer Einnahmen für Grundnahrungsmittel ausgeben. Sinnvoller wäre es allerdings den Betroffenen direkt zu helfen als dies über Umwege zu tun. Bei sehr hohen Nahrungsmittelpreisen müssten dann diese entsprechend unterstützt werden.

Doch wie sieht es mit der Sicherung des Nahrungsmittelbestandes aus? Milch- und Getreidepreise schwanken, aber nicht nur weil die Erzeuger den Markt falsch eingeschätzt haben, sondern vor allem auch wegen der nicht prognostizierbaren klimatischen Bedingungen. Kalte, heiße, regnerische Sommer haben alle unterschiedliche Einflüsse auf den landwirtschaftlichen Ertrag. Eine Unterstützung der Bauern, um ein permanentes Überangebot zu erzielen, kann durch die Produktion einer Sicherheitsmenge zur - im Extremfall - Vermeidung von Hungersnöten beitragen. Da klimatische Erscheinungen in aller Regel an Landesgrenzen nicht Halt machen, wäre ein ausgleichender Import wenig wahrscheinlich.

Es gibt also durchaus Gründe, die eine differenzierte Betrachtungsweise der einzelnen Wirtschaftssektoren erfordern. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Überproduktion in der Landwirtschaft in den Industriestaaten (Europa, Nord- und Südamerika) so massiv ist, dass eine dermaßen hohe Unterstützung nicht gerechtfertigt sein kann und ein sanfter Ausstieg notwendig ist. Interessant wäre zu wissen, wie stark der Milchabsatz in den letzten Jahren geschwankt ist. Zwischenzeitlich kostete der Liter den Konsumenten fast doppelt so viel wie heute. Falls dieser nur gering ausfiel, wovon bei der unelastischen Nachfrage auszugehen ist, stellt sich doch vielmehr die Frage: Warum schaffen die Molkereien es nicht gegenüber dem Einzelhandel in ihren Preisverhandlungen bessere Ergebnisse für sich und die Milchbauern zu erzielen?

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