Weiße Listen für "Halbgötter in Weiß"
Grundsätzlich stellt sich gerade bei umfangreicheren Maßnahmen das Problem, dass man sich bevor der einzutretende Effekt eintritt für eine Vorgehensweise entscheiden muss. Man weiß auf individueller Ebene daher nie, wie das Ergebnis bei einer Alternative, z. B. einem anderen durchführenden Arzt, ausgesehen hätte. Dies Problem lässt sich relativ einfach durch die Aggregation vieler ähnlicher Fälle, bei denen alternative Lösungsansätze angewandt wurden, beheben. Die Variante, die besser abschneidet, sei es durch kürzere Rekonvaleszenszeiten, niedrigere Mortalitätsraten oder geringere Nebenwirkungen, ist im allgemeinen dann vorzuziehen. Es käme somit zu einem standardisierten Verfahren. Dies würde immer dann angewandt, wenn auch die Ausgangssituation, das Krankheitsbild, dem Standard entspricht.
Für gewöhnlich weiß der Leistungsnehmer, der Patient, nicht, welches Verfahren das am geeignetste ist und welcher Anbieter dies am besten anwendet. Fürs erste kann ihm sein Hausarzt oder ein anderer sog. Sachverwalter wie z. B. ein Informationsdienst der Versicherung behilfreich sein. Beim zweiten gilt prinzipiell dasselbe. Gerade die Versicherung, der Kostenträger, sollte ein Interesse daran haben, dass die Leistungen von einer kompetenten Stelle durchgeführt werden. So werden umfangreiche Folgekosten am ehesten vermieden. Generell wird aber hier wie bei jeder anderen Sachverwalterbeziehung ein Vertrauensverhältnis vorausgesetzt. Da es um Leib und Leben geht, muss sich der Leistungsnehmer sicher sein, dass der Sachverwalter selbst einen äußerst versierten Einblick besitzt und andere Interessen wie z. B. finanzielle außer Acht lässt.
Inwieweit kann die Weisse Liste dem Verbraucher nun helfen im sich im Dschungel des Gesundheitsmarktes zurecht zu finden? Da sie selbst Teil einer Stiftung ist, sollte ihr ein eigennütziges Handeln, zumindest in Bezug auf die Besserstellung einzelner Anbieter, abgesprochen werden können. Sie erfüllt daher das Kriterium des unabhängigen Sachverwalters. Doch erfüllt sie auch die notwendige Kompetenz? Die Weisse Liste ermöglicht es dem Anwender sich die Krankenhäuser gefiltert nach einer Untersuchung oder einem Eingriff darstellen zu lassen. Neben der Anzahl der Fachärzte und dem Pflegepersonal, sowie den durchgeführten Behandlungen kann man sich außerdem angebotene Komfortleistungen (Fernseher am Bett, Einzelzimmer usw.) darstellen lassen. Man kann sich seinen persönlichen Schlüssel zusammen basteln und so entscheiden, wo man sich behandeln lassen möchte. Der Vorteil ist, dass die Entscheidung auf den eigenen Präferenzen beruht und nicht die eines anderen widerspiegelt.
So weit, so gut. Dies hilft sicherlich bei standardisierten Eingriffen, die sehr häufig durchgeführt werden. Man vermeidet damit, sich in ein Krankenhaus einweisen zu lassen, die das geforderte Behandlungsspektrum nur am Rande ausführt, gleichzeitig ein paar Kilometer weiter aber eine hochspezialisierte Klinik vorhanden ist. Aber ist mehr auch grundsätzlich besser? Es gibt Schwellenwerte, die überschritten werden müssen, um einen Erfahrungs- und Routinierungsgrad aufbauen zu können. Alles was jeweils darüber liegt, führt in der Regel nur dazu, dass mehr Mediziner sich mit den gleichen Themen beschäftigen, es also zu einer Arbeitsteilung kommt. Kliniken sind nicht grundsätzlich dafür bekannt, dass sie Vorreiter im Prozessmanagement, sowohl den harten als auch insbesondere den weichen Faktoren, sind. Inwieweit hier noch ein Vorteil für den Patienten erzielt werden kann, liegt an der Organisation, der Führung und dem gegenseitigen Austausch der einzelnen Teams. Hier liegt eine Schwachstelle der Weissen Liste. Sie stellt nur dar, wie viele Behandlungen durchgeführt werden, den sog. output, nicht aber die Qualität, den sog. outcome.
Zusätzlich muss die Aufbereitung der Daten in der Weissen Leiste als zu einfach bewertet werden. Berücksichtigt werden grundsätzlich nur Ergebnisse der Vergangenheit. Eine plötzlich eintretende hohe Fluktuation, die zum Wegfall wertvoller Erfahrungen, intangiblen Wissens, führt, kann z. B. nicht dargestellt werden. Gleiches gilt für den Aufbau neuer Teilbereiche. Durch die Zusammenführung etablierter Kräfte anderer Häuser kann ein beträchtliches Innovationspotential entstehen, dass dem Patienten zu Gute kommt. Außerdem gilt auch hier der Vertrauensfaktor. Was nützt die beste Operation, wenn der Patient sich nicht ernst genommen fühlt oder glaubt, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Die Ausprägung der Dienstleistungsmentalität oder einem Handeln, dass einem partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnis entspricht, ist nur schwer zu messen.
Ist eine Darstellung erfolgreich durchgeführter Behandlungen im Sinne der Weissen Liste überhaupt gesellschaftlich wünschenswert? Gerade die zu einfache Darstellung birgt neben den dargestellten Vor- und Nachteilen auf Nachfragerseite Gefahren. Sie provoziert auf Anbeiterseite ein Verhalten, eine möglichst hohe Erfolgsquote zu erzielen. Dies kann aber leicht dazu führen, dass Patientengruppen mit erhöhtem Risikofaktor bestimmte Behandlungsformen gar nicht mehr angeboten bekommen. Die Möglichkeit, dass diese die durchschnittliche Erfolgsrate senken, wäre zu groß. Die Schwachstelle der Weissen Liste, die fehlende Darstellung der Qualität für den einzelnen Marktteilnehmer, ist gesellschaftlich betrachtet daher ein Vorteil. Der Bertelsmann Stiftung sei daher die Empfehlung gegeben, bei einer Erweiterung ihres Angebotes gewissenhaft zwischen kurz- und langfristigen Vor- und Nachteilen, sowie impliziten gesellschaftlichen Auswirkungen abuzwägen.