Politologie

Dienstag, 11. August 2009

Hasenpower in der Politik

Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling hat eine neue Partei gegründet mit der er bei der kommenden Bundestagswahl siegen und Bundeskanzler werden will: die HSP, die Horst Schlämmer Partei. Eigentlich handelt es sich um eine gekonnte Maretingaktion für den neuen Film von Hape Kerkeling, dennoch lohnt es sich das Wahlprogramm genauer anzuschauen. So ist die Satire bekanntermaßen die Übertreibung des Gewöhnlichen und weist somit dem Betrachter gezielt auf Absurditäten und Hinterfragungswürdiges hin.

Die Partei beschreibt sich selbst als konservativ-liberal-links. Sie deckt damit nahezu das gesamte politische Spektrum ab und kann somit prinzipiell von jedem gewählt werden. Eine Festlegung auf eine Richtung unterbleibt. Sie folgt nicht nur dem Medianwähleransatz von Anthony Downs, sondern geht noch darüber hinaus: der Wunschtraum eines jeden Parteistrategen und Wahlkampmanagers.

Das Wahlprogramm weist zwar einige konkrete Forderungen auf, diese sind aber wenig gesellschaftsrelevant. Selbst wenn man nicht mit einer dieser konform geht, ist dies kein Grund die HSP nicht zu wählen. Wenngleich eine "Auflösung der Verkehrssünderkartei in Flensburg" oder "Schönheitsoperationen für alle – auf Kasse" sicherlich für viele ein erstrebenswerter Zustand wäre. Gerade beim zweiten Punkt fallen allein mir selbst gut zehn Leute ein, denen ich eine Verwirklichung dieser Forderung gönnen würde.

Zudem besticht Horst Schlämmer, was ihn von seinen Konkurrenten ausnahmslos abhebt, durch eine bestechende Ehrlichkeit, indem er zugibt, dass die nächsten Jahre wirtschaftlich hart würden und er selbst keinen Plan habe. Auch gibt er ununmwunden zu, dass er es nicht schafft, vier Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Aussage Schlämmers, dass er auch nicht schlechter als die wäre, die den Job jetzt machen, können wohl die meisten unterstützen. Dies gilt allerdings nicht nur für Politiker, sondern bei ca. der halben Bevölkerung auch für Fußballtrainer. Als Grund gewählt zu werden reicht das nicht, es lässt aber tief in Volkes Seele blicken.

Neben dem inhaltslosen Parteiprogramm mit dem die HSP Maßstäbe setzt, ist aber vor allem ihre Vermarktung beachtenswert. In nahezu allen sozialen Netzwerken, die es im Internet gibt, ist der Spitzenkandidat präsent und man kann mit ihm Kontakt aufnehmen. Zusätzlich wirkt die Präsentation, wenn auch auf ihre eigene Weise, äußerst professionell. Hiervon sind die etablierten Parteien teilweise noch recht weit entfernt. Gerade in der Ansprache und dem Austausch mit den oftmals als politikverdrossen bezeichneten jungen Wählern werden hier neue Möglichkeiten der Kommunikation genutzt.

Die Satire der HSP hält dem Wähler nicht nur auf gekonnte Weise einen Spiegel seines eigenen Wahlverhaltens vor. Sie weist auch den Parteien Wege auf, wie sie zurück zur Gesellschaft finden und sich von der Hinterstubenpolitik lösen können, um stattdessen in den kritíschen Diskurs mit der Bevölkerung zu treten. Eine politische Partizipation weiterer Kreise in den legitimierten Institutionen wäre somit möglich.

Montag, 20. Juli 2009

Die Leiden des jungen Philipp M.

Philipp Mißfelder ist Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied des deutschen Bundestags. Berühmt, berüchtigt wurde er durch seine Aussage, dass es nicht nachvollziehbar sei, "wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen". Vorgehalten wurde ihm nicht nur die wenig soziale Bemerkung, sondern vor allem, dass er dies tat, um sich damit ins Rampenlicht zu rücken. Er selbst bestreitet dies. Sei es, wie es ist.

Ist Aufmerksamkeit wirklich das wichtigste? Tut sich ein Abgeordneter (in spe) einen Gefallen damit, Teile der Bevölkerung zu verprellen?
Generell kann man in politischer Hinsicht die Bevölkerung in drei Teile unterteilen:
Erstens die politisch Uninteressierten, die den größten Block von etwa 75% stellen. Diese wissen, wenn überhaupt, wer Regierungschef und Bürgermeister ist und wann die nächste Wahl stattfindet. Oppositionspolitiker oder Minister aus der zweiten Reihe können häufig schon nicht mehr mit Namen benannt werden.
Zweitens die politisch Interessierten, die etwa 25% der Bevölkerung ausmachen. Diese kennen alle einflussreichen Politiker, auch die der Nachbarländer, können zwischen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik unterscheiden und sind mit den Prozessen in der EU einigermaßen vertraut. Sie lesen regelmäßig Tageszeitungen und Hintergrundberichte und können sich bei Wahlen z. B. auch noch an Versprechen der letzten erinnern.
Den Rest stellt die sog. politische Elite. Diese haben tiefe Einblicke in die politischen Strukturen, Prozesse und Institutionen, sind ggf. auf Teilbereiche spezialisiert. Sie wissen z. B. wie Wahlkämpfe funktionieren und welche Handlungsoptionen Politikern offen stehen und wie Entscheidungen getroffen werden.
Um in der letztgenannten Gruppe zu punkten ist die Konzentration darauf, nur Aufmerksamkeit zu erregen, wenig verheißungsvoll. Gerade hier werden solche Spielereien durchschaut und wirken eher kontraproduktiv. Bei den politisch Interessierten ist ein gemischtes Urteil zu ziehen. Diese nehmen die Äußerungen auf jeden Fall wahr, verwenden diese aber auch noch bei späteren Wahlentscheidungen. War die Effekthascherei zu extrem, werden diese auch bei neuen guten Ansätzen immer noch für Stimmenverluste sorgen. Vielleicht wird aus rationalen Gründen der Äußerung aber auch zugestimmt und der emotionale Charakter schlichtweg ausgeblendet. Um die politisch Uninteressierten zu erreichen, ist es das Wichtigste überhaupt Aufmerksamkeit in den entsprechenden Medien zu erregen. Da diese auch die zahlenmäßig größte Gruppe stellen, wird ein Politiker wohl kaum um diese Art der Werbung für sich auch außerhalb des klassichen Wahlkampfes herumkommen.

Nur Aufmerksamkeit reicht aber nicht, die Angesprochenen müssen auch mit der These übereinstimmen. Gerhard Schröder hat, als er Ministerpräsident von Niedersachsen war, einmal gesagt, Lehrer seien faule Säcke. Angeblich soll er auf die Frage eines Politikwissenschaftlers, wie er es sich mit einer Stammklientel der SPD so verscherzen könne, geantwortet haben: "Ich verliere vielleicht 10.000 Stimmen bei den Lehrern, gewinne aber 100.000 bei denjenigen hinzu, die so denken und sonst vermutlich gar nicht zur Wahl gingen." Der Inhalt der Aussage ist also sehr wohl bedeutend. Er sollte die Meinung der Mehrheit der politisch Uninteressierten widergeben. Die beiden anderen Gruppen fällen ihre Entscheidungen ohnehin anhand rationaler Kriterien.

Philipp Mißfelder kann also nicht unterstellt werden, nur der eigenen Karriere willen, seine Hüftthese unters Volk gebracht zu haben. Vielleicht war ihm das Stimmenverhältnis, die Dominanz der Rentner in unserer Gesellschaft, aber auch nur nicht bewusst. Seine später getroffene Bemerkung höhere Hartz-IV-Bezüge für Kinder seien "ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie" weist hier schon auf überlegteres Verhalten hin.

Aber ist ihm ein Vorwurf zu machen? Er selbst beklagt sich darüber, dass er bei Seniorenveranstaltungen immer nur mit Themen wie Kuranträgen und potientiellem Führerscheinentzug konfrontiert wird. Über Wirtschaftspolitik wolle nie jemand sprechen. Dies zeigt letztendlich nur, dass er, indem er sich bei der Darstellung seiner Person auf schwammige Formulierungen und Oberflächlichkeiten begrenzt, der Wählerschaft genau das bietet, was sie erwartet: einen omnipräsenten Abgeordneten, der ein Ohr für die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes hat. Ob auch Lösungen und Handlungsansätze vorhanden sind, wollen die wenigsten wissen.

Sicherlich gibt es in der Politik auch immer noch Leute mit Idealen und Sachverstand. Ohne die eigene Vermarktung kommt aber niemand mehr aus. Dies gilt insbesondere bei Direktkandidaten. Auffallend an Philipp Mißfelder ist nur, dass er sich vollkommen auf die Vermarktung und die Darstellung konzentriert. Das gilt auch für andere einflussreichere Politiker, nur haben diese für den Lernprozess deutlich länger gebraucht. Kann man jemanden dafür zu beschuldigen, dass er schneller als andere erkennt, welches die wesentlichen Faktoren sind, um erfolgreich zu sein?

Philipp Mißfelder spricht über seine Vorgehensweise und diese ist so ausgeprägt ist, dass vielen hierdurch erst deutlich wird wie ihr eigenes Wahlverhalten determiniert ist. Das regt zur Reflexion über das eigene Handeln an und zeigt, dass man nicht nur Politikern fehlende Moral vorwerfen kann, sondern die Bevölkerung diese geradezu fördert. Bedauerlich hierbei ist nur, dass diese Erkenntnis vermutlch den politisch Interessierten vorbehalten bleibt.

Alltagssituationen
Ökonomie
Politologie
Über diese Seite
Wissenschaftstheorie
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren