Dienstag, 4. August 2009

Warum Hochgeschwindigkeitszüge meinen Arbeitsweg verlängern

Ich bin das, was man klassischerweise einen Pendler nennt: morgens zur Arbeit in die Großstadt rein, abends - manche meiner Kollegen sagen auch am frühen Nachmittag - zurück in die Kleinstadt. Nun fahre ich nicht mit mit dem Auto, sondern aus ökologischen und ökonomischen Gründen mit einem Regionalexpress eines privaten Betreibers. In meinem Heimatort habe ich dann die Wahl zwischen einem gut und gerne halbstündigen Fußweg vom Bahnhof nach Hause oder einer gemütlichen Busfahrt, die im Fahrpreis schon mit enthalten ist. Ich entscheide mich immer für die gemütliche Variante. Der Bus fährt tagsüber alle zwanzig Minuten und zwischen Zugankunft und Busabfahrt liegen fünf Minuten. Kein Problem für einen guten Anschluss, sollte man meinen. Doch dem ist leider nicht so.

An einem Bahnhof auf halber Strecke wird mein Zug von einem ICE überholt. Dummerweise hat der nur regelmäßig fünf bis acht Minuten Verspätung. Folglich fährt auch mein Zug soviel später los und der Bus ist, wenn ich den Zug verlasse, weg oder fährt gerade ab. Ich kann mich also zwanzig Minuten am Busbahnhof sonnen oder im Winter vor mich hinfrieren. Warum hat man es innerhalb von nunmehr vier Jahren und vermultich noch viel länger nicht geschafft, den ICE pünktlich fahren zu lassen?

Grundsätzlich haben die schnelleren Züge immer Vorrang vor den langsameren. Das ist verständlich, weil sonst Bummelzüge den ganzen Verkehr aufhielten und so aus fünf Minuten Verspätung ganz schnell eine Stunde würde. Welcher Nachteil entsteht der Bahn dadurch, dass Pendler wie ich jeden Tag mehr Zeit für ihren Arbeitsweg aufwenden müssen? Direkt keiner, auch bei mir hat der Zug nur ein paar Minuten Verspätung. Die erhöhte Verzögerung tritt erst durch den verpassten Busanschluss auf. Die Gestaltung des Busfahrplans liegt aber nicht in den Händen der Bahn. Vielleicht macht es auch einen Unterschied, dass der Regionalzug von einem anderen Anbieter betrieben wird, wenngleich jeder der Pendler weiß, wem er die Verspätung zu verdanken hat. Die Sanktionsmaßnahmen für Zugverspätungen wurden kürzlich verschärft, dies greift aber erst bei deutlich größeren Zeiträumen. Eine Addition der verlorenen Zeiten über Tage, Monate und Jahre hinweg ist nicht vorgesehen. Die Vielzahl der Beteiligten macht es zudem schwer einen Schuldigen zu identifizieren. Schließlich könnte auch der Bus, der nur an den Stadtrand und wieder zurück fährt, zwei Minuten länger warten, um die Zugfahrgäste mitzunehmen.

Sicherlich kann man die nahezu tägliche Verspätung einkalkulieren oder als Lapalie hinnehmen. Die Bevölkerung unter diesen Umständen zu überzeugen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, fällt aber bestimmt nicht leichter als wenn keine planerischen Mängel vorhanden wären. Ein integriertes Konzept aller Beteiligten zur schnellen flexiblen Behebung des Problems wäre notwendig. Nur entsteht hiermit leider keinem der Betreiber ein unmittelbarer kurzfristiger Nutzen. Vermutlich mangelt es bei der städtischen Busgesellschaft auch an Problembewusstsein. Um eine Verbesserung zu erzielen ist politischer Handlungsdruck notwendig, der im gesellschaftlichen Interesse das gemeinsame Handeln vorantreibt. Denn der volkswirtschaftliche Schaden bei ca. 200 Pendlern, die bis zu zwanzig Minuten auf ihre Anschlüsse warten müssen, ist auf jeden Fall enorm.

Fairerweise sei angemerkt, dass auf der Strecke ein zusätzliches Gleis gebaut werden soll, um das Überholerproblem verspäteter Züge zu lösen. Ob man aber nicht zwischenzeitlich längst kleine Verbesserungen hätte anstoßen können und diese zeitlich wie auch finanziell immense Investition wirklich notwendig ist, sei dahingestellt.

Montag, 20. Juli 2009

Die Leiden des jungen Philipp M.

Philipp Mißfelder ist Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied des deutschen Bundestags. Berühmt, berüchtigt wurde er durch seine Aussage, dass es nicht nachvollziehbar sei, "wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen". Vorgehalten wurde ihm nicht nur die wenig soziale Bemerkung, sondern vor allem, dass er dies tat, um sich damit ins Rampenlicht zu rücken. Er selbst bestreitet dies. Sei es, wie es ist.

Ist Aufmerksamkeit wirklich das wichtigste? Tut sich ein Abgeordneter (in spe) einen Gefallen damit, Teile der Bevölkerung zu verprellen?
Generell kann man in politischer Hinsicht die Bevölkerung in drei Teile unterteilen:
Erstens die politisch Uninteressierten, die den größten Block von etwa 75% stellen. Diese wissen, wenn überhaupt, wer Regierungschef und Bürgermeister ist und wann die nächste Wahl stattfindet. Oppositionspolitiker oder Minister aus der zweiten Reihe können häufig schon nicht mehr mit Namen benannt werden.
Zweitens die politisch Interessierten, die etwa 25% der Bevölkerung ausmachen. Diese kennen alle einflussreichen Politiker, auch die der Nachbarländer, können zwischen Kommunal-, Landes- und Bundespolitik unterscheiden und sind mit den Prozessen in der EU einigermaßen vertraut. Sie lesen regelmäßig Tageszeitungen und Hintergrundberichte und können sich bei Wahlen z. B. auch noch an Versprechen der letzten erinnern.
Den Rest stellt die sog. politische Elite. Diese haben tiefe Einblicke in die politischen Strukturen, Prozesse und Institutionen, sind ggf. auf Teilbereiche spezialisiert. Sie wissen z. B. wie Wahlkämpfe funktionieren und welche Handlungsoptionen Politikern offen stehen und wie Entscheidungen getroffen werden.
Um in der letztgenannten Gruppe zu punkten ist die Konzentration darauf, nur Aufmerksamkeit zu erregen, wenig verheißungsvoll. Gerade hier werden solche Spielereien durchschaut und wirken eher kontraproduktiv. Bei den politisch Interessierten ist ein gemischtes Urteil zu ziehen. Diese nehmen die Äußerungen auf jeden Fall wahr, verwenden diese aber auch noch bei späteren Wahlentscheidungen. War die Effekthascherei zu extrem, werden diese auch bei neuen guten Ansätzen immer noch für Stimmenverluste sorgen. Vielleicht wird aus rationalen Gründen der Äußerung aber auch zugestimmt und der emotionale Charakter schlichtweg ausgeblendet. Um die politisch Uninteressierten zu erreichen, ist es das Wichtigste überhaupt Aufmerksamkeit in den entsprechenden Medien zu erregen. Da diese auch die zahlenmäßig größte Gruppe stellen, wird ein Politiker wohl kaum um diese Art der Werbung für sich auch außerhalb des klassichen Wahlkampfes herumkommen.

Nur Aufmerksamkeit reicht aber nicht, die Angesprochenen müssen auch mit der These übereinstimmen. Gerhard Schröder hat, als er Ministerpräsident von Niedersachsen war, einmal gesagt, Lehrer seien faule Säcke. Angeblich soll er auf die Frage eines Politikwissenschaftlers, wie er es sich mit einer Stammklientel der SPD so verscherzen könne, geantwortet haben: "Ich verliere vielleicht 10.000 Stimmen bei den Lehrern, gewinne aber 100.000 bei denjenigen hinzu, die so denken und sonst vermutlich gar nicht zur Wahl gingen." Der Inhalt der Aussage ist also sehr wohl bedeutend. Er sollte die Meinung der Mehrheit der politisch Uninteressierten widergeben. Die beiden anderen Gruppen fällen ihre Entscheidungen ohnehin anhand rationaler Kriterien.

Philipp Mißfelder kann also nicht unterstellt werden, nur der eigenen Karriere willen, seine Hüftthese unters Volk gebracht zu haben. Vielleicht war ihm das Stimmenverhältnis, die Dominanz der Rentner in unserer Gesellschaft, aber auch nur nicht bewusst. Seine später getroffene Bemerkung höhere Hartz-IV-Bezüge für Kinder seien "ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie" weist hier schon auf überlegteres Verhalten hin.

Aber ist ihm ein Vorwurf zu machen? Er selbst beklagt sich darüber, dass er bei Seniorenveranstaltungen immer nur mit Themen wie Kuranträgen und potientiellem Führerscheinentzug konfrontiert wird. Über Wirtschaftspolitik wolle nie jemand sprechen. Dies zeigt letztendlich nur, dass er, indem er sich bei der Darstellung seiner Person auf schwammige Formulierungen und Oberflächlichkeiten begrenzt, der Wählerschaft genau das bietet, was sie erwartet: einen omnipräsenten Abgeordneten, der ein Ohr für die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes hat. Ob auch Lösungen und Handlungsansätze vorhanden sind, wollen die wenigsten wissen.

Sicherlich gibt es in der Politik auch immer noch Leute mit Idealen und Sachverstand. Ohne die eigene Vermarktung kommt aber niemand mehr aus. Dies gilt insbesondere bei Direktkandidaten. Auffallend an Philipp Mißfelder ist nur, dass er sich vollkommen auf die Vermarktung und die Darstellung konzentriert. Das gilt auch für andere einflussreichere Politiker, nur haben diese für den Lernprozess deutlich länger gebraucht. Kann man jemanden dafür zu beschuldigen, dass er schneller als andere erkennt, welches die wesentlichen Faktoren sind, um erfolgreich zu sein?

Philipp Mißfelder spricht über seine Vorgehensweise und diese ist so ausgeprägt ist, dass vielen hierdurch erst deutlich wird wie ihr eigenes Wahlverhalten determiniert ist. Das regt zur Reflexion über das eigene Handeln an und zeigt, dass man nicht nur Politikern fehlende Moral vorwerfen kann, sondern die Bevölkerung diese geradezu fördert. Bedauerlich hierbei ist nur, dass diese Erkenntnis vermutlch den politisch Interessierten vorbehalten bleibt.

Montag, 13. Juli 2009

Thomas Gottschalk und die Piratensender

In den 80er Jahren wurde ein, wie ich finde, hervorragender Film mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger gedreht: Piratensender Powerplay. Die beiden betreiben einen illegalen Radiosender, weil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kein der Allgemeinheit zugängliches Programm läuft. Heute arbeitet Thomas Gottschalk beim ZDF und moderiert die immer noch mit am beliebteste Fernsehsendung "Wetten, dass...?". So schlecht kann das Angebot des öffentlichen-Rundfunks also gar nicht sein. Ist es aber gerechtfertigt hierfür und für die anderen Sendungen Gebühren zu verlangen und dazu noch in dieser Höhe?

Generell sollte der Staat nur dort in den Markt eingreifen, wo dieser nicht selbständig funktioniert. Dies beinhaltet auch das Auftreten als Akteur wie es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen der Fall ist. Historisch betrachtet war dieser zunächst der einzige Anbieter. Ein Werbemarkt existierte noch nicht und hätte aufgrund der zu geringen Verbreitung des Mediums Fernsehens vermutlich auch nie entstehen können. Dass der Staat hier den Anstoß gibt bis sich ein eigenständiger Markt entwickeln kann, es zu sog. positiven Netzwerkexternalitäten gekommen ist, erscheint daher legitim. Doch ist ein Eingreifen des Staates auch heute noch gerechtfertigt?

Schaut man sich das Fernsehprogramm an, so wird man feststellen, dass sowohl bei den privaten als auch bei den öffentlich-rechtlichen Programmen viel leichte Kost, man könnte auch sagen Schrott, angeboten wird. Bestimmte Formate findet man aber fast ausschließlich auf ARD, ZDF & Co. Hierzu gehören neben kulturell anspruchsvolleren Beiträgen wie sie auf arte gezeigt werden auch politische Sendungen wie auf Phoenix und ein pädagogisch wertvolleres Kinderprogramm auf Ki.Ka als bei den Privaten. Diesen drei Kategorien ist eins gemeinsam, es existiert kein oder nur ein sehr eingeschränkter Werbemarkt. Wer sich Sendungen auf arte oder Phoenix ansieht hat im Allgemeinen eine geringere Konsumneigung. Werbeausgaben würden sich nicht rentieren. Bei Kindersendungen sind die gesetzlichen Vorgaben recht rigide, zudem werden die qualitativen Sendungen eher mit den Eltern gesehen. Diese schalten anzunehmenderweise rechtzeitig vor der Werbung ab, so dass diese gar nicht ihre Empfänger erreicht. Für diese Art von Sendungen Gebühren zu erheben ist noch relativ eingängig. Doch wie steht es mit Unterhaltungsprogrammen wie dem Musikantenstadl oder ähnlichem?

Die Generation der über 50-jährigen gilt in Werbekreisen nicht mehr als ansprechbar. Hauptzielgruppe sind die 14- bis 49-jährigen. Folglich existiert auch hier kein Angebot einschlägiger Sendungen im Privatfernsehen. Der Staat muss also als Marktkorrektor eingreifen. Und warum versagt der Markt bei Unterhaltungssendungen à la "Wetten, dass...?" oder der Fußball-Wetlmeisterschaft?

Das ist gerade nicht der Fall, dennoch werden die teuersten Programminhalte von ARD und ZDF gesendet. Mit einem Marktversagen ist dies nicht zu erklären. Da nun aber jeder, der ein Fernsehgerät besitzt, verpflichtet ist, GEZ-Gebühren zu zahlen, ist der Gebührenempfänger gewissermaßen moralisch verpflichtet, auch allen ein Angebot anzubieten, an dem sie partizipieren wollen, und nicht nur denen, die der Markt nicht bedient. Es handelt sich hierbei um Ansätze des Äquivalenzprinzips, das besagt, dass jeder das rausbekommt, was er auch einbezahlt. Würde man auf diese Komponente verzichten, käme es zu einer weitaus stärkeren Gebührenevasion, d. h. dem Nichtanmelden von Empfangsgeräten, als es heute schon der Fall ist. Es ist mehr Mittel zum Zweck, das Marktversagen überhaupt beheben zu können.

Natürlich kann man einwenden, das öffentlich-rechtliche Fernsehen ließe sich aus Steuergeldern finanzieren. Schließlich profitieren langfristig alle z. B. von einem Qualitätsprogramm für Kinder, weil es deren Entwicklung zumindest mehr fördert als andere Unterhaltungssendungen. Der Gesellschaft entstünde ein positiver Nutzen. Es bestünde aber stärker die Gefahr einer übertriebenen Geldausgabe, weil die direkte Kontrollinstanz der einzelnen Bürger ausfiele. Eine Budgeterhöhung würde bei weitem nicht so ein großes Medienecho auslösen wie eine Gebührenerhöhung.

Sonntag, 5. Juli 2009

Reinigende Milchbäder

Sind die Absatzpreise für Milch und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse aus ökonomischen Gesichtspunkten zu niedrig? Besteht ein Marktversagen und handelt es sich wirklich nicht um "faire Preise" wie von den Bauern moniert? Grundlegend für einen funktionierenden Markt ist, dass die Preisbildung aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entsteht. Wird mehr Milch angeboten, die Nachfrage aber konstant bleibt, sinkt der Preis, wird weniger angeboten, steigt dieser. Dies folgt aus der schlichten Tatsache, dass mir dem Verbraucher der zusätzliche Liter Milch, den ich noch kaufe, weniger wert ist als der bereits vorherige. Damit kein Überschuss entsteht - der Markt geräumt wird - wird nun jeder Liter Milch zu diesem markträumenden Preis verkauft.

Wird Milch tatsächlich zu einem zu niedrigen Preis angeboten, bestünde ein Nachfrageüberschuss. Praktisch hieße das, man bekäme ab 16 Uhr oder auch am Wochenende, jedenfalls in der Zeit bevor neue Ware geliefert wird, nichts mehr zu kaufen. Dies ist in Deutschland wie eigene Recherchen ergeben haben, definitiv nicht der Fall. Die Preisbildung scheint also für eine Markträumung zu sorgen. Insofern besteht kein Marktversagen.

Ein Blick auf die Entwicklung der Produktions- und Absatzzahlen, sowie der Preise wirft allerdings einige Fragen auf. Ein Zusammenhang zwischen den Preisen und der Produktionsmenge einerseits, sowie dem Gesamtverbrauch andererseits lässt für die letzten 15 Jahre keinen Zusammenhang erkennen. So stiegen 2001 und 2007 die Preise für Milcherzeugnisse um ca. fünf Prozent. 2001 wurde dennoch zwei Prozent mehr nachgefragt und 2007 schrumpfte der Absatz nur um ein Prozent. Die geringen Schwankungen der Nachfrage sprechen dafür, dass diese relativ preisunempfindlich ist. Es ist für den Verbraucher schlichtweg nicht entscheidend, ob der Liter Milch 48 oder 73 Cent kauft. Er kauft immer annähernd dieselbe Menge. Dies ist allerdings kein Marktversagen, sondern eine sog. preisunelastische Nachfrage. Die Frage hierbei ist jetzt nur, wer davon profitiert. Normalerweise wäre dies weder die eine noch die andere Seite. In einem Markt mit vollkommener Konkurrenz träten solange neue Anbieter in den Markt ein wie diese einen Ertrag erwirtschaften, der ihre Kosten deckt. Da die Absatzmenge in diesem Fall annähernd fest ist, würden die Produzenten mit den höchsten Kosten folglich den Markt verlassen müssen. Ihre Kosten lägen über dem neuen Marktpreis, der durch die neuen effizienteren Wettbewerber nach unten gedrückt wurde.

Diese Marktbereinigung ist bisher durch die Zahlung von Subventionen im weitaus geringerem Maße durchgeführt worden wie sie aus ökonomischen Gesichtspunkten hätte stattfinden müssen. Die Preisreduktion führt also dazu, dass von den bestehenden Milchbetrieben nur noch die mit der günstigsten Kostenstruktur überleben. Ein völlig normaler, wenn auch für viele deutlicher und schmerzhafter Prozess.

Sonntag, 28. Juni 2009

Steuern steuern

Die Umsatzsteuer ist eine sozial ungerechte Steuer, weil sie Geringverdiener überproportional belastet. Ein häufig vorgebrachtes Argument. Und sicher, wenn das Steuersystem ansonsten unverändert bleibt, ist diese Aussage auch richtig. Unabhängig von der Höhe des Einkommens wird ein gewisser Grundbetrag immer für den Konsum ausgegeben. Der Konsumanteil und damit auch der durch eine Umsatzsteuer belastete Ausgabenpart fällt daher bei steigendem Einkommen. Geringverdiener müssen sich also bei einer Umsatzsteuererhöhung stärker einschränken, während bei den hohen Einkommensbeziehern die Belastung ggf. nur unmerklich ausfällt.

Eine Steuererhöhung, die nur dazu dient, dem Staat mehr Einnahmen zu bescheren, ist aber per se als ungerecht oder schlichtweg überflüssig zu bezeichnen. In diesem Fall wäre jedwede Form einer Steuererhöhung, sei es die Umsatzsteuer, die Einkommensteuer oder auch die Mineralölsteuer, abzulehnen. Anders verhält es sich, wenn der Staat die Steuereinnahmen nutzt, um hiermit Ausgaben zu tätigen, die die private Wirtschaft nicht oder nur unzureichend leisten kann. Der Staat erzielt in diesem Fall für die Gesellschaft einen höheren Benefit als der freie Markt. Ob die Bundesrepublik nun mehr zu ersterem tendiert oder zu letzterem, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Unabhängig davon, ob nun wirklich mehr Finanzeinnahmen notwendig sind oder nicht, ergibt sich immer die Frage der Ausgestaltung des Steuersystems in seiner gesamten Komplexität. Das eingangs erwähnte Argument lässt sich allein schon dadurch entkräften, dass die skandinavischen Länder allesamt einen vergleichsweise hohen Umsatzsteuersatz haben, dennoch aber als Staaten mit einem gut ausgebauten Sozialsystem gelten. Bei den USA oder auch Singapur mit seiner hohen Einkommenskonzentration verhält es sich gerade umgekehrt. Bedeutend ist daher immer auch wie das Einkommensteuersystem gestaltet ist. Bei sehr hohen Freibeträgen fiele ein hoher Umsatzsteuersatz weniger ins Gewicht, weil die finanziellen Mittel für der Grunderwerb nicht besteuert werden. Einsichtig ist auch, dass eine starke Progression mit hohen Grenzsteuersätzen einkommensangleicher wirkt als nur ein niedriger Umsatzsteuersatz. Nicht vergessen werden darf hierbei, dass auch die Konstruktion der Sozialversicherungssysteme Auswirkungen hat. Das Bismarcksche System wie es in den kontinentaleuropäischen Staaten vorherrschend ist sorgt z. B. in der BRD de facto für Eingangsteuersätze von ca. 40% (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil von Renten-, Krankenversicherung usw.). Sozialpolitisch wirksam und auch ökonomisch effektiv, weil arbeitsanreizerhöhend, wäre es dies auf ein steuerbasiertes System umzustellen.

Eine Reduzierung der Einkommensteuer wirkt positiv auf die Bereitschaft Arbeit aufzunehmen, weil netto mehr vom Brutto bleibt. Ein so großer Effekt, dass die Steuereinnahmen zumindest aber gleich bleiben - weil jetzt mehr Leute Steuern zahlen als vorher, wenn auch der Einzelne weniger als zuvor - ist allerdings nicht anzunehmen. Notwendig ist also eine Gegenfinanzierung. Hierfür bietet sich die Umsatzsteuer und gerade die ermäßigte an. Produkte, die zum Grundbedarf gehören, werden unabhängig von Preisveränderungen recht gleichmäßig nachgefragt. Es kann zu keiner Ausweichreaktion des Bürgers kommen. Bei der Einkommensteuer ist durch die Substition von Arbeit zu Freizeit der Fall. Gerade die Produkte des täglichen Bedarfs, die aus sozialpolitischen Gründen niedriger besteuert werden, für die Einnahmensicherung des Staates heranzuziehen, mag etwas befremdlich klingen. Letztendlich werden mit dem ermäßigten Steuersatz aber auch hohe Einkommensbezieher subventioniert und der Grund hiermit, die heimische Landwirtschaft zu unterstützen, trifft auch nicht zu. Die Produkte weisen sich gerade durch eine konstante Nachfrage aus. Letztendlich erzielt der Staat somit sein Finanzziel mit einem Minimum an wirtschaftspolitischer Verzerrung des Marktes. Die Austarierung der Steuersätze muss dann nur dafür sorgen, dass genügend Mittel für Transferleistungen vorhanden bleiben, um die sozialpolitischen Ziele zu verwirklichen.

Doch gibt es auch Gründe für gespaltene oder niedrige Umsatzsteuersätze? Frankreich hat einen erniedrigten Steuersatz im Gastronomie- und Hotelbereich. Die USA zeichnet sich durch einen viel höheren Anteil an Arbeitnehmern aus, die einfache Serviceleistungen verrichten. Das liegt nicht an der höheren Dienstleistungsbereitschaft, sondern auch daran, dass in peronalintensiven Wirtschaftsbereichen die Umsatzsteuer quasi wie eine Einkommensteuer wirkt. Sie senkt also die Bereitschaft solche Arbeit aufzunehmen bzw. diese nachzufragen, weil sie durch die zusätzliche Steuer unverhältnismäßig teuer wird. Ein reduzierter Umsatzsteuersatz auf Dienstleistungen ist daher wirtschaftspolitisch zu unterstützen. Es stellt sich nur die Frage der Abgrenzung. Steueroptimierendes Verhalten der Akteure und damit ein Wohlfahrtsverlust ist wahrscheinlich zu erwarten.

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