Sonntag, 22. November 2009

Noch mehr Wissenschaftstheorie

Wissenschaftstheorie, auch Wissenschaftsphilosophie, ist ein Bestandteil der Philosophie. Dem Kant´schen Ansatz folgend behandelt sie zusammen mit der Erkenntnistheorie, der Ontologie und der Logik die Frage: Was kann ich wissen? Wissenschaftstheorie ist eine Metawissenschaft, d. h. die Wissenschaft über die Wissenschaft. Sie ist also diejenige, die die Wissenschaft beschreibt, untersucht und in Frage stellt. Hierbei ergründet sie welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit Ergebnisse und Methoden als wissenschaftlich begründet befunden werden können und stellt gleichsam Anforderungen hieran. Grundsätzlich bedeutet dies, dass Ergebnisse und Verfahren richtig, wiederholbar und überprüfbar sein müssen. Die Wissenschaftstheorie stellt gewissermaßen das Werkzeug für den Wissenschaftsbetrieb bereit und entwickelt dieses weiter, indem sie immer wieder überprüft, ob die vorhandenen ihren Zweck erfüllen. Gleichsam stellt sie Regeln wie Öffentlichkeit, Sachlichkeit und begriffliche Klarheit für den Wissenschaftsbetrieb auf bzw. diagnostiziert diese.

Neben der Bereitstellung operativer Verfahren ist das Ziel der Wissenschaftstheorie zu ergründen, was Wahrheit ist und wie diese in unterschiedlichen Disziplinen anders ermittelt wird. Zudem ergründet sie, was die einzelnen Arten der Wissenschaft antreibt. So ist in der Grundlagenforschung oder bei den Formalwissenschaften der reine Erkenntnisgewinn, also das Verstehen oder Erklären, vordergründig, in der angewandten Forschung mehr die direkte Verbesserung eines Sachverhaltes, wie z. B. in der Medizin die Heilung einer Krankheit. Desweiteren räumt sie mit der klassischen Trennung quantitativer und qualitativer Verfahren auf. So ist auch in zahlenbasierten Messungen immer noch die Interpretation des Lesenden gegeben und variiert z. B. mit der Zeit durch unterschiedliche vorherrschende Denkansätze oder im Raum durch verschiedene Sozialisierungen.

Der Wissenschaftler, der sich mit Wissenschaftstheorie beschäftigt, unterscheidet sich nicht grundlegend von dem anderer Fachrichtungen, wenngleich er natürlich keine großen Forschungsapparate wie z. B. in der Physik einsetzt. Bedeutend ist die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt, der fachliche Austausch und der permanente Drang nach Verbesserung. Wie in den meisten Geisteswissenschaften gibt es auch hier keine Antwort auf die Frage aller Fragen, stattdessen konkurrieren unterschiedliche Ansätze. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Vielzahl verschiedener Richtungen der Wissenschaftstheorie wie dem Empirismus, dem Rationalismus oder dem Positivismus, um nur die bedeutendsten zu nennen.

Der Begriff Objektivität wird im allgemeinen Sprachraum vielfach verwendet, wenn auch oftmals falsch. Dass sich dahinter nichts anderes als Unabhängigkeit, z. B. vom Betrachter, als auch Überprüfbarkeit verbirgt, macht dies umso deutlicher. Bei der Kausalität ist ein Effekt Folge eines anderen, der Ursache. Im Gegensatz dazu treten bei der Kontingenz zwei Dinge nur zufällig gleichzeitig oder zeitnah auf. Ein Erläuterungsurteil verdeutlicht einen Sachverhalt nur. Ein Erweiterungsurteil bringt dagegen eine neue Erkenntnis mit ein, die einem vorliegenden Befund nicht spekulationsfrei zu entnehmen war.

Insbesondere bei Arbeiten im Team sollte man sich selbst immer wieder die Grundtugenden eines Wissenschaftlers vor Augen führen und diese auch beherzigen. Hierzu zählen vor allem sämtliche Positionen zu überprüfen und dies ggf. auch von den anderen einzufordern als auch die Bereitschaft Ansätze zu akzeptieren, die zunächst etwas aus der Art schlagen. Der kritische Umgang mit Quellen jeder Art gehört selbstredend dazu.

In Unternehmen bildet sich über Jahre fast immer ein „common sense“ über bestimmte Verfahren heraus, die allgemein akzeptiert werden. Der Transfer des wissenschaftstheoretischen Ansatzes, Dinge in Frage zu stellen und auch tradierte Meinungen zu überprüfen, kann auf betriebliche Organisationen unter den sich immer schneller verändernden Rahmenbedingungen nur sinnvoll sein.

Es ist legitim, dass sich Wissenschaft auch mit sich selbst befasst und sie somit, wenn auch nur langfristig, voranbringt. Kann aber die Wissenschaftstheorie die ihr selbst gesteckten Ziele überhaupt erfüllen? Sie kann auf Probleme bei der Messung und der daraus gefolgerten Schlüssen hinweisen, aber kann sie dieses Problem für sich selbst ausschalten?

Sonntag, 8. November 2009

Wissenschaftstheorie, wie andere sie sehen

Wissenschaft, was ist Wissenschaft? Chalmers (vgl. 2007, S. 1-3) weist in seiner Einleitung zur Wissenschaftstheorie darauf hin, dass Wissenschaft und wissenschaftliche Erkenntnisse ein hohes Ansehen in der Gesellschaft genießen. Damit ist ein Trend zur Verwissenschaftlichung entstanden. Vieles wird als Wissenschaft bezeichnet und es wird sich gerne auch sinnverstellend oder aus dem Zusammenhang gerissen auf wissenschaftliche Ergebnisse berufen. Prinzipiell zeichnet sich die Wissenschaft dadurch aus, dass sie auf Tatsachen aufbaut und nicht etwa auf Dogmen oder Glaubensansätzen. Der Aufbau auf Tatsachen und die Schlussfolgerung anhand derer krankt aber daran, dass nie zweifelsfrei bestimmt werden kann, was Wirklichkeit also Tatsache ist. Beobachtungen, aus denen Tatsachen abgeleitet werden, sind immer auch subjektiv geprägt. Chalmers geht jedoch nicht soweit und stellt die Wissenschaft wie einige Wissenschaftsphilosophen auf eine Stufe mit Religion, Erzählungen o. ä. Stattdessen kennzeichnen für ihn die grundsätzlichen Vorgehensweisen wie Falsifizier- und Verifizierbarkeit weiterhin die Wissenschaft, wenngleich es Bereiche gibt, in denen die reine Anwendung dieser Verfahren in die Irre führen kann und diese daher näher konkretisiert bzw. ausgebaut werden müssen. Ggf. zeigt dies auch die Grenzen von Wissenschaft auf.

Etwas einfacher und griffiger formuliert es Mohr (2005, S. 6): „Wissenschaftliche Forschung ist die systematische, also disziplinierte und an Methoden und Institutionen gebundene Suche nach gesichertem Wissen, nach Erkenntnis.“ Er beschreibt das Ziel der Wissenschaft und was diese auszeichnet. Ähnlich geht Kornmeier (2007, S. 4) vor, setzt den Fokus aber auf die Arbeitsweise: „Von Intuition und Glauben unterscheidet sich dieses Konstrukt [die Wissenschaft] darin, dass entsprechende Meinungen, Positionen bzw. Aussagen beschrieben und begründet werden müssen.“ Komplettiert wird der Begriff Wissenschaft aber wohl erst, wenn man noch berücksichtigt, was den Wissenschaftler im Idealtypus auszeichnet. „Ich meine, dass initiative Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Suchende sind, immer auf der Suche nach Neuem, und dazu müssen sie – zumindest zeitweise – durch die Welt und Wissenschaft streunen.“ (Vogl 2007, S. 6) Alle drei Teile geben einen Einblick in das, was Wissenschaft ist, und sind an sich richtig, aber erst die Kombination ergibt ein Gesamtbild, das einem ein wahres Verständnis geben kann.

Es stellt sich dennoch die Frage: Wer ist überhaupt ein Wissenschaftler? “The person can be seen as a scientist constantly experimenting with his definition of his existence.” (Pope / Keen 1981, S. 26) Ist also jemand, der ständig sich selbst oder besser die Beschreibung seiner Selbst in Frage stellt grundsätzlich ein Wissenschaftler? Man würde dies wohl eher als Fall für die Psychiatrie bezeichnen, denn als Wesensmerkmal für jemanden der versucht, die Gesellschaft in positiver Weise voranzubringen. Aber Genie und Wahnsinn liegen bekanntermaßen nah beieinander. So bezeichnet das Zitat auch mehr die Arbeitsweise des Wissenschaftlers, denn seine Selbstreflexion. Neben der Einigung auf bestimmte Verfahren und eine eigene Fachsprache, die im Übrigen auch andere Gruppen aufweisen, zeichnet den Wissenschaftler aus, dass er ständig auf der Suche nach der Verbesserung bereits Bekanntem ist. Dies impliziert, dass alles in Frage zu stellen ist, ggf. sogar die Definition der eigenen Existenz. Sobald es bessere Erklärungen gibt, sind die ehemaligen zu verwerfen. Zudem ist Sachlichkeit oberstes Primat. Eigene Interessen oder Vorlieben sind zurückzustellen. Seinen Höhepunkt findet dies darin, sich selbst in Frage zu stellen. Man weiß, dass man ist, aber nicht in welchem Großen und Ganzen man sich befindet. Sei es nun als selbstbestimmtes Wesen, als ein von Gottes Hand gelenktes Geschöpf oder eine Romanfigur in einem Buch. Dieser sehr philosophisch abstrakte Ansatz findet sich in jeder Wissenschaftsform wieder. Vieles, und auch immer mehr, ist erklärbar, gleichzeitig stellt man aber auch fest, dass sich immer wieder neue Rätsel auftun. Diese zu lösen bzw. im Kleinen daran mitzuarbeiten und mehr und mehr Erkenntnisse zu gewinnen, kennzeichnet den Wissenschaftler.

Tatsachen stehen konträr zu persönlichen Meinungen. Sie sind objektiv oder scheinen es zumindest zu sein und nicht subjektiv. Sie werden durch Erfahrungen, Beobachtungen und Experimente gewonnen und sind somit empirisch belegbar. Die Objektivität scheitert allerdings daran, dass jeder rein physikalisch-anatomisch betrachtet wohl das gleiche sieht, aber unterschiedlich aufnimmt und mit bereits vorhandenen Kenntnissen verknüpft. Die Erkenntnis, die Beobachtung, ist dadurch aber immer dem Risiko ausgesetzt unterschiedlich zu sein; sowohl zwischen verschiedenen Forschern als auch bei einem einzelnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dies ist in allen Disziplinen gegeben, wenn auch in verschiedener Ausprägung. So ist sie z. B. in der Physik durch die quantitative Operationalisierbarkeit gering, was dazu führte, dass die hier verwendeten o. g. Methoden zum Standard bzw. Anspruch an wissenschaftliche Untersuchungen wurden. Tatsachen sind erst dann widerlegt, wenn dies mit anerkannten Verfahren geschehen kann. Diese können die bereits vorhanden sein oder neue. Ein Verfahren wird aber erst dann anerkannt und eine Theorie zur Tatsache, wenn diese Sachverhalte besser erklären als die bereits vorhandenen Ansätze. Die ehemalige Tatsache wird damit zu einer überkommenen Theorie degradiert. Treffend formuliert Chalmers (2007, S. 2) dies am Beispiel der Relativitätstheorie, die erst dann überkommen sein kann, wenn plausiblere Ansätze gefunden wurden: „Tatsachen bedingen die Überlegenheit der einsteinschen Erkenntnisse über vorangegangene Ansätze zur Relativität, und jeder, der dies nicht anerkennt, irrt.“

Alltagssprache und Wissenschaftssprache unterscheiden sich voneinander. Dies wird anhand des folgenden Sachverhaltes verdeutlicht.
An einem trüben Oktobernachmittag regnet es seit mehreren Stunden.
Alltagssprache: Dieses Wochenende regnet es wieder wie aus Eimern.
Wissenschaftssprache: Am 17.10.2009 wurden 20mm Niederschlagshöhe gemessen, die Sonnenscheindauer betrug zwei Stunden.
Die Wissenschaftssprache ist im Gegensatz zur Alltagssprache sachlich präzise und emotionslos. Sie bezieht alle wesentlichen Daten mit ein. Hierdurch ermöglicht sie den direkten und unmissverständlichen Vergleich zweier Sachverhalte, z. B. der Niederschlagsmenge und Sonnenscheindauer an verschiedenen Tagen. Die erfassten sind in diesem Fall quantitativ verwertbar und stehen damit Querschnittuntersuchungen zur Verfügung. Dies ist allerdings nicht für die Wissenschaft grundsätzlich erforderlich und auch nicht immer möglich. Verzichtet wird aber immer auf wertfüllungsbedürftige Begriffe. Stattdessen sind Begriffe eindeutig definiert und über die zu verwendenden Methoden herrscht Konsens. Somit ist eine Wiederverwendbarkeit der Ergebnisse auch von Dritten gegeben und der Austausch wird erst ermöglicht.

Chalmers, Alan F. (2007): „Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie”, 6. Auflage, Berlin, Heidelberg (Springer).
Pope, Maureen L.; Keen, Terence R. (1981): „Personal construct psychology and education”, London (Acad. Pr.).
Kornmeier, Martin (2007): „Wissenschaftstheorie und wissenschaftliches Arbeiten. Eine Einführung für Wirtschaftswissenschaftler“, Heidelberg (Physica-Verlag).
Mohr, Hans (2005): „Strittige Themen im Umfeld der Naturwissenschaften. Ein Beitrag zur Debatte über Wissenschaft und Gesellschaft“, Berlin, Heidelberg (Springer).
Vogl, Gero (2007): „Wandern ohne Ziel. Von der Atomdiffusion zur Ausbreitung von Lebewesen und Ideen“, Berlin, Heidelberg (Springer).

Donnerstag, 5. November 2009

Eine Einführung in die Wissenschaft

Es gibt unterschiedliche Definitionen des Begriffs Wissenschaft, exemplarisch sei hier die Gegenüberstellung von Geistes- und Naturwissenschaften genannt und von Alltags- und wissenschaftlicher Erkenntnis. Als zentral in der Wissenschaft ergibt sich das Streben nach Minimierung der Unsicherheit unter Zuhilfenahme von im Wissenschaftskontext anerkannten Verfahren. Hierzu zählt u. a. die systematische, kritische, kontrollierte und empirische Untersuchung.

Das Ziel von Forschung, welche sich immer der wissenschaftlichen Arbeitsgrundlagen bedient, ist entweder das bloße Erkenntnisstreben oder das Auffinden einer Verwertbarkeit. Eine wissenschaftliche Arbeit beantwortet demnach immer die Frage nach dem warum oder wie. Letzten Endes geht es darum, einen positiven gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

Die Wissenschaft bedient sich einer ihr eigenen Fachsprache. Hierdurch werden Kommunikationsprobleme auch über natürliche Sprachräume hinaus auf ein Minimum reduziert. Als Folge ergibt sich eine effiziente Arbeitsweise. Konsens besteht darüber hinaus - innerhalb der einzelnen Fachdisziplinen stärker als übergreifend – über die einzusetzenden Verfahren und die Formen der Ergebnispräsentation. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des ständigen Austauschs und der damit verbundenen Weiterentwicklung notwendig. Es entsteht ein Prozess von Subjektivität über Intrasubjektivität zu Objektivität. Hierfür ist es notwendig sein eigenes Ego zurückzustellen und sich ganz der Sache zu verschreiben. Ein Fälschen von Untersuchungsergebnissen zum eigenen Vorteil, das Kopieren der Arbeiten anderer oder ähnlicher Dinge verstößt gegen die ethischen Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens und hat ggf. den Ausschluss aus der Forschungsgemeinde zur Folge.

Wissen lässt sich unterscheiden in deklaratives, prozedurales, narratives, diskursives und operatives. Das erste beschreibt das Faktenwissen und umfasst das, was unter Allgemeinbildung verstanden oder in Intelligenztests abgefragt wird. Hierzu gehören z. B. das Beherrschen der Grundrechenarten, die Grundlagen unserer Rechtsordnung oder zu wissen, wann die Berliner Mauer gefallen ist, ebenso aber auch, dass es nachts kälter als tagsüber ist. Das prozedurale Wissen beschreibt hingegen Fertigkeiten, die schwer in Worte zu fassen sind. So kann nahezu jeder ab einem gewissen Alter laufen, aber nicht erklären wie er dies tut. Diskursives Wissen entsteht durch den Austausch, die Diskussion, verschiedener Teilnehmer. Mittels der Zusammensetzung des Wissens der einzelnen entsteht neues und das Ergebnis ist größer als die Summe der Einzelteile. Im Gegensatz hierzu steht das narrative Wissen. Abläufe oder Erkenntnisse, die gut verpackt erzählt werden, erlangen allein schon hierdurch ihre Gültigkeit. Deutlich wird dies in dem häufig verwendeten Schlusssatz „...und die Moral von der Geschicht´“. Operatives oder auch Orientierungswissen beschreibt die Fähigkeit mit Wissen umzugehen und sich selbständig neues anzueignen. Methodenkenntnisse fallen in diesen Wissensbereich. Der Abruf dieses Wissens ist immer dann erforderlich, wenn ein neues Problem auftritt, zu dem noch keine Standardlösung vorhanden ist, sondern selbst eine entwickelt werden muss. Das Problem kann auch darin bestehen, dass Wissen vorhanden ist, aber nicht bekannt, wie man dieses anwenden kann.

Wissenschaftsdisziplinen lassen sich z. B. je nach Anwendungsgrad typisieren: zum einen in die Formalwissenschaften, die keinen direkten Bezug zur Realität haben, zum anderen in die Realwissenschaften, bei denen dieser gegeben ist. Die ersten unterstützen die zweiten dahingehend, dass sie ihnen brauchbare und fächerübergreifende Werkzeuge wie die Mathematik zur Verfügung stellen. Die Realwissenschaften lassen sich weitergehend in Natur- und Kulturwissenschaften aufgliedern. Mit zunehmendem Anwendungsbezug ist auch hier wieder eine Unterteilung möglich in einerseits die klassischen Naturwissenschaften (Physik, Chemie usw.) und die Ingenieurswissenschaften (Elektrotechnik, Informatik) und andererseits die Geistes- (Sprachwissenschaften, Geschichte) und Sozialwissenschaften (Wirtschaftswissenschaften, Soziologie).

Die Typisierung der Formen von Wissen ermöglicht es zielgerichtet zu ergründen, wo einzelne individuelle Schwächen vorliegen. Gerade in Bezug auf das prozedurale Wissen macht es das Leben doch etwas einfacher zu wissen, dass, nur weil andere etwas können und mehrfach versucht haben einem zu erklären wie etwas geht, man es aber trotzdem nicht verstanden hat, nicht von geistiger Verwirrung anheim gefallen ist. Stattdessen kann man weiter hoffen, dass man es irgendwann verstanden hat.

Zunächst erscheint es so, als sei beim Anstreben einer Laufbahn außerhalb des akademischen Bereichs die Formalwissenschaft vernachlässigbar. Die Entwicklung zeigt aber, dass das, was heute noch theoretisch abstrakt behandelt wird, in vielleicht zehn oder zwanzig Jahren einen Anwendungsbezug erhält. Beispielhaft sei hier die Entwicklung von mathematischen Verfahren über die Kryptologie hin zu Standardverfahren in der angewandten Informatik genannt.

Die Verknüpfung zu fluider Intelligenz, der Fähigkeit sich neues insbesondere Faktenwissen schnell anzueignen, und kristalliner, das Beherrschen schwer beschreibbarer aber genereller Fähigkeiten wie sozialer Kompetenzen, drängt sich beim Blick auf die verschiedenen Wissensformen auf. Während erstere mit dem Alter abnimmt, steigt die zweite im Laufe des Lebens kontinuierlich an. Sollte z.B. ein Studium diesen Lernprozess, der sonst durch Lebenserfahrung entsteht, deutlich abkürzen, wäre dies ein deutlicher Zugewinn. Beide Intelligenztypen erreichten früh im Leben ihren Höhepunkt und nicht mehr zeitlich versetzt.

Als interessant und herausfordernd für beide Seiten ist der Austausch von Wissenschaft und Wirtschaft und Gesellschaft. Es stellt sich die Frage, was ganz konkret eine universitäre Ausbildung im Gegensatz zur Berufsbildung gesellschaftlich leisten kann und wie dieses Wissen transferierbar wird. Wie schafft man es, dass aus erworbenen Methodenkenntnissen auch handfeste Ergebnisse erwachsen, die auch noch besser sind als wenn man sich auf eine rein fachliche Ausbildung einließe? Und wie verhindere ich es, eine Gesellschaft von Theoretikern aufzubauen, denen es an Fertigkeiten zur konkreten Umsetzung mangelt?

Sonntag, 23. August 2009

Weiße Listen für "Halbgötter in Weiß"

Die Bertelsmann Stiftung betreibt einen Internetauftritt, der die Vergleichbarkeit und Qualität von Dienstleistern im Gesundheitswesen ermöglichen soll: die Weisse Liste. Bis jetzt beschränkt sich das Angebot noch auf den Vergleich von Kliniken bzw. deren angebotenen Behandlungen im stationären Bereich. Es soll aber stetig ausgebaut werden. Doch können medizinische Leistungen überhaupt verglichen werden?

Grundsätzlich stellt sich gerade bei umfangreicheren Maßnahmen das Problem, dass man sich bevor der einzutretende Effekt eintritt für eine Vorgehensweise entscheiden muss. Man weiß auf individueller Ebene daher nie, wie das Ergebnis bei einer Alternative, z. B. einem anderen durchführenden Arzt, ausgesehen hätte. Dies Problem lässt sich relativ einfach durch die Aggregation vieler ähnlicher Fälle, bei denen alternative Lösungsansätze angewandt wurden, beheben. Die Variante, die besser abschneidet, sei es durch kürzere Rekonvaleszenszeiten, niedrigere Mortalitätsraten oder geringere Nebenwirkungen, ist im allgemeinen dann vorzuziehen. Es käme somit zu einem standardisierten Verfahren. Dies würde immer dann angewandt, wenn auch die Ausgangssituation, das Krankheitsbild, dem Standard entspricht.

Für gewöhnlich weiß der Leistungsnehmer, der Patient, nicht, welches Verfahren das am geeignetste ist und welcher Anbieter dies am besten anwendet. Fürs erste kann ihm sein Hausarzt oder ein anderer sog. Sachverwalter wie z. B. ein Informationsdienst der Versicherung behilfreich sein. Beim zweiten gilt prinzipiell dasselbe. Gerade die Versicherung, der Kostenträger, sollte ein Interesse daran haben, dass die Leistungen von einer kompetenten Stelle durchgeführt werden. So werden umfangreiche Folgekosten am ehesten vermieden. Generell wird aber hier wie bei jeder anderen Sachverwalterbeziehung ein Vertrauensverhältnis vorausgesetzt. Da es um Leib und Leben geht, muss sich der Leistungsnehmer sicher sein, dass der Sachverwalter selbst einen äußerst versierten Einblick besitzt und andere Interessen wie z. B. finanzielle außer Acht lässt.

Inwieweit kann die Weisse Liste dem Verbraucher nun helfen im sich im Dschungel des Gesundheitsmarktes zurecht zu finden? Da sie selbst Teil einer Stiftung ist, sollte ihr ein eigennütziges Handeln, zumindest in Bezug auf die Besserstellung einzelner Anbieter, abgesprochen werden können. Sie erfüllt daher das Kriterium des unabhängigen Sachverwalters. Doch erfüllt sie auch die notwendige Kompetenz? Die Weisse Liste ermöglicht es dem Anwender sich die Krankenhäuser gefiltert nach einer Untersuchung oder einem Eingriff darstellen zu lassen. Neben der Anzahl der Fachärzte und dem Pflegepersonal, sowie den durchgeführten Behandlungen kann man sich außerdem angebotene Komfortleistungen (Fernseher am Bett, Einzelzimmer usw.) darstellen lassen. Man kann sich seinen persönlichen Schlüssel zusammen basteln und so entscheiden, wo man sich behandeln lassen möchte. Der Vorteil ist, dass die Entscheidung auf den eigenen Präferenzen beruht und nicht die eines anderen widerspiegelt.

So weit, so gut. Dies hilft sicherlich bei standardisierten Eingriffen, die sehr häufig durchgeführt werden. Man vermeidet damit, sich in ein Krankenhaus einweisen zu lassen, die das geforderte Behandlungsspektrum nur am Rande ausführt, gleichzeitig ein paar Kilometer weiter aber eine hochspezialisierte Klinik vorhanden ist. Aber ist mehr auch grundsätzlich besser? Es gibt Schwellenwerte, die überschritten werden müssen, um einen Erfahrungs- und Routinierungsgrad aufbauen zu können. Alles was jeweils darüber liegt, führt in der Regel nur dazu, dass mehr Mediziner sich mit den gleichen Themen beschäftigen, es also zu einer Arbeitsteilung kommt. Kliniken sind nicht grundsätzlich dafür bekannt, dass sie Vorreiter im Prozessmanagement, sowohl den harten als auch insbesondere den weichen Faktoren, sind. Inwieweit hier noch ein Vorteil für den Patienten erzielt werden kann, liegt an der Organisation, der Führung und dem gegenseitigen Austausch der einzelnen Teams. Hier liegt eine Schwachstelle der Weissen Liste. Sie stellt nur dar, wie viele Behandlungen durchgeführt werden, den sog. output, nicht aber die Qualität, den sog. outcome.

Zusätzlich muss die Aufbereitung der Daten in der Weissen Leiste als zu einfach bewertet werden. Berücksichtigt werden grundsätzlich nur Ergebnisse der Vergangenheit. Eine plötzlich eintretende hohe Fluktuation, die zum Wegfall wertvoller Erfahrungen, intangiblen Wissens, führt, kann z. B. nicht dargestellt werden. Gleiches gilt für den Aufbau neuer Teilbereiche. Durch die Zusammenführung etablierter Kräfte anderer Häuser kann ein beträchtliches Innovationspotential entstehen, dass dem Patienten zu Gute kommt. Außerdem gilt auch hier der Vertrauensfaktor. Was nützt die beste Operation, wenn der Patient sich nicht ernst genommen fühlt oder glaubt, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Die Ausprägung der Dienstleistungsmentalität oder einem Handeln, dass einem partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Verhältnis entspricht, ist nur schwer zu messen.

Ist eine Darstellung erfolgreich durchgeführter Behandlungen im Sinne der Weissen Liste überhaupt gesellschaftlich wünschenswert? Gerade die zu einfache Darstellung birgt neben den dargestellten Vor- und Nachteilen auf Nachfragerseite Gefahren. Sie provoziert auf Anbeiterseite ein Verhalten, eine möglichst hohe Erfolgsquote zu erzielen. Dies kann aber leicht dazu führen, dass Patientengruppen mit erhöhtem Risikofaktor bestimmte Behandlungsformen gar nicht mehr angeboten bekommen. Die Möglichkeit, dass diese die durchschnittliche Erfolgsrate senken, wäre zu groß. Die Schwachstelle der Weissen Liste, die fehlende Darstellung der Qualität für den einzelnen Marktteilnehmer, ist gesellschaftlich betrachtet daher ein Vorteil. Der Bertelsmann Stiftung sei daher die Empfehlung gegeben, bei einer Erweiterung ihres Angebotes gewissenhaft zwischen kurz- und langfristigen Vor- und Nachteilen, sowie impliziten gesellschaftlichen Auswirkungen abuzwägen.

Dienstag, 11. August 2009

Hasenpower in der Politik

Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling hat eine neue Partei gegründet mit der er bei der kommenden Bundestagswahl siegen und Bundeskanzler werden will: die HSP, die Horst Schlämmer Partei. Eigentlich handelt es sich um eine gekonnte Maretingaktion für den neuen Film von Hape Kerkeling, dennoch lohnt es sich das Wahlprogramm genauer anzuschauen. So ist die Satire bekanntermaßen die Übertreibung des Gewöhnlichen und weist somit dem Betrachter gezielt auf Absurditäten und Hinterfragungswürdiges hin.

Die Partei beschreibt sich selbst als konservativ-liberal-links. Sie deckt damit nahezu das gesamte politische Spektrum ab und kann somit prinzipiell von jedem gewählt werden. Eine Festlegung auf eine Richtung unterbleibt. Sie folgt nicht nur dem Medianwähleransatz von Anthony Downs, sondern geht noch darüber hinaus: der Wunschtraum eines jeden Parteistrategen und Wahlkampmanagers.

Das Wahlprogramm weist zwar einige konkrete Forderungen auf, diese sind aber wenig gesellschaftsrelevant. Selbst wenn man nicht mit einer dieser konform geht, ist dies kein Grund die HSP nicht zu wählen. Wenngleich eine "Auflösung der Verkehrssünderkartei in Flensburg" oder "Schönheitsoperationen für alle – auf Kasse" sicherlich für viele ein erstrebenswerter Zustand wäre. Gerade beim zweiten Punkt fallen allein mir selbst gut zehn Leute ein, denen ich eine Verwirklichung dieser Forderung gönnen würde.

Zudem besticht Horst Schlämmer, was ihn von seinen Konkurrenten ausnahmslos abhebt, durch eine bestechende Ehrlichkeit, indem er zugibt, dass die nächsten Jahre wirtschaftlich hart würden und er selbst keinen Plan habe. Auch gibt er ununmwunden zu, dass er es nicht schafft, vier Millionen Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Aussage Schlämmers, dass er auch nicht schlechter als die wäre, die den Job jetzt machen, können wohl die meisten unterstützen. Dies gilt allerdings nicht nur für Politiker, sondern bei ca. der halben Bevölkerung auch für Fußballtrainer. Als Grund gewählt zu werden reicht das nicht, es lässt aber tief in Volkes Seele blicken.

Neben dem inhaltslosen Parteiprogramm mit dem die HSP Maßstäbe setzt, ist aber vor allem ihre Vermarktung beachtenswert. In nahezu allen sozialen Netzwerken, die es im Internet gibt, ist der Spitzenkandidat präsent und man kann mit ihm Kontakt aufnehmen. Zusätzlich wirkt die Präsentation, wenn auch auf ihre eigene Weise, äußerst professionell. Hiervon sind die etablierten Parteien teilweise noch recht weit entfernt. Gerade in der Ansprache und dem Austausch mit den oftmals als politikverdrossen bezeichneten jungen Wählern werden hier neue Möglichkeiten der Kommunikation genutzt.

Die Satire der HSP hält dem Wähler nicht nur auf gekonnte Weise einen Spiegel seines eigenen Wahlverhaltens vor. Sie weist auch den Parteien Wege auf, wie sie zurück zur Gesellschaft finden und sich von der Hinterstubenpolitik lösen können, um stattdessen in den kritíschen Diskurs mit der Bevölkerung zu treten. Eine politische Partizipation weiterer Kreise in den legitimierten Institutionen wäre somit möglich.

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